Es ist Winter 2008/2009, als ich auf der Wanderkarte das erste Mal auf die gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund aufmerksam werde. Auf der Suche nach einer Route für eine Vorfrühlingstour am südlichen Rand des „Nationalparks Donauauen“ bemerke ich, dass der markierte „Muschelweg“ in Wolfsthal an der Grenze zur Slowakei seinen Ausgang nimmt und zunächst einmal bis vor die Tore Wiens nach Schwechat führt. Den will ich mir ansehen, denke ich mir, womit gleich einmal zwei Wandertage mit Programm gefüllt wären.
Bevor ich allerdings darüber schreibe, möchte ich einmal die möglichen Anstöße und Inspirationen zum Pilgern ein wenig beleuchten.
Frage: Warum pilgern wir?
Im wesentlichen lassen sich folgende Motive für den Beginn einer Pilgerschaft anführen: religiöse und damit eng in Verbindung stehend spirituelle Motive, weiters ein (vorübergehender) Ausstieg aus dem Alltag, womit in weiterer Folge meist auch ein Selbstfindungsprozess verbunden ist, aber auch ein gewisses Maß an sportlicher Ambition zwecks Stärkung von Körper und Geist macht uns zu Pilgern.
- Die Motivation aus der Religion heraus: Die Tradition des Pilgerns ist in fast allen Konfessionen anzutreffen. Es verwundert daher nicht, dass das ursprünglichste und wichtigste der Motive religiöser Natur ist. Pilgern wäre demnach „das Gehen in der Gegenwart Gottes“ oder um „mit den Füßen zu beten“. (Theo Bärchtold, Pfarrer am St. Jakob am Stauffacher und Jakobspilger)
- Der Sprung von der Religion zu den spirituellen Beweggründen ist nicht allzu weit. Der Pilger geht, um intensiv in die Natur und die mittelalterliche Kultur (Kirchengeschichte) einzutauchen, sich mit beidem zu beschäftigen und beides am Ende vor heftigen Eingriffen bewahren zu wollen, weil er sieht, was der Mensch z. B. mit der Natur anstellt. Das Thema „Nachhaltigkeit“ tritt dabei oft in den Vordergrund. Die Pilgerschaft bietet daher eine Möglichkeit, „Spiritualität zu leben“ und „meine Sinne zu öffnen, um das wahrzunehmen, was in mir und außerhalb von mir vor sich geht“. (© Schweizerische Kirchenzeitung – 1999)
- Die Suche nach einer Auszeit vom Alltag: Eine weitere Gruppe ist jene, die eine Gestaltungsmöglichkeit für deren „Auszeit“ sucht. „Ich bin dann mal weg!!!“ – frei nach Hape Kerkeling – beschreibt deren Motivation wohl am besten. In unserer hektischen Berufswelt entsteht mit der Zeit der Wunsch nach Entschleunigung und dem Finden der inneren Ruhe. Man möchte einfach gehen, um sich einmal im Leben gehen zu lassen und sich selbst geschenkte Zeit einfach genießen. (Theo Bärchtold in http://www.kirchenbote.ch/zuerich/glaubeleben/pilgern/baerchtold.htm)
- Der Prozess der Selbstfindung: Das Wandern auf einem Pilgerweg führt oft auch zu einem Selbstfindungsprozess, ob man das nun beabsichtigt oder nicht. In seiner bisherigen Einbettung in der Gesellschaft erfüllte man eine bestimmte Funktion oder wurde einer bestimmten Erwartungshaltung gerecht. Beim Pilgern ist man jedoch davon losgelöst und man ist einfach nur man selbst – unabhängig vom gesellschaftlichen Status, seinen Vermögensverhältnissen oder überhaupt seiner Vergangenheit (nach Hans-Peter Herkenrath, Beitrag in: Jakobsweg/Camino de Santiago (Undogmatisches Forum) vom 26.02.2018). Das gilt insbesondere bei Begegnungen mit anderen Pilgern oder in den Herbergen. Zahlreiche (ehemalige) Pilger schätzen diese Erfahrung und kommen immer wieder auf die Pilgerwege zurück.
- Die Pilgerschaft als sportliche Ambition: Sportliche Höchstleistungen und Entschleunigung passen eher nicht zusammen. Es kann bei diesem Motiv für eine Pilgerwanderung eigentlich nur um die Frage gehen, wie der eigene Körper auf eine wochen- oder gar monatelange Wanderung reagiert. Wie schnell regeneriert man, wenn man durchschnittlich 20 bis 25 Kilometer am Tag unterwegs ist? Wann benötigt der Pilger einmal einen Ruhetag? Auf welche Signale des Körpers ist zu achten, damit einem die Beine auch das selbst gesteckte Ziel erreichen lassen? Der Zweck der Pilgerschaft besteht hier also darin, den Körper und den Geist mittels dieser Grenzerfahrung derart zu stärken, dass diese für das weitere Leben ein tragfähiges Fundament bilden. (Theo Bärchtold, in http://www.kirchenbote.ch/zuerich/glaubeleben/pilgern/baerchtold.htm)
Eine Sonderform der möglichen Inspirationen zum Pilgern ist die pure Wanderlust und die Vorliebe, weite Strecken zu gehen:
- Eine Pilgerschaft aus Liebe zum Wandern: Der Liebe zum Wandern kann weltweit auf diversen markierten Wegen nachgegangen werden. Dabei ist es in Europa nicht unwahrscheinlich, einen der zahlreichen Pilgerwege zu kreuzen oder gar zufällig entlang zu gehen. Aus diesem Zufall heraus kann sehr schnell der Wunsch entstehen, einen dieser Pilgerwege einmal unter seine Füße zu nehmen. An dieser Stelle kann ich wieder zum Beginn dieses Beitrages zurückkehren. Ich bin quasi in einen Pilgerweg hineingestolpert!

Neben den Motiven für eine Pilgerschaft wird auch zwischen den Begriffen der „Pilgerfahrt“ und der „Wallfahrt“ unterschieden.
Frage: Was ist der Unterschied zwischen „Pilgern“ und „Wallfahren“?
Unter einer Wallfahrt versteht man das Zurücklegen eines Pilgerweges zu Fuß oder mit einem Transportmittel, an dessen Ziel stets eine Pilgerstätte besucht wird. Eine Wallfahrt ist immer verbunden mit einem religiösen Ereignis (z.B.: Buße, Gelübde, etc). Nicht der Weg, sondern das Ziel – also der heilige Wallfahrtsort selbst – steht im Vordergrund.
Pilger sein bedeutet in erster Linie Fremder (lat.: peregrinus) sein, die Pilgerfahrt entsprechend eine Reise ins Fremde und Ungewisse. Die pilgernden Mönche der Antike und des Mittelalters verstanden diese Reise als Leben ohne örtliche Gebundenheit, ohne Besitz, als Fremde in dieser Welt unterwegs zu sein. Eine solche Pilgerschaft konnte ein Leben lang dauern und war nicht auf einen bestimmten Ort hin gerichtet, sondern der Weg war das Entscheidende. Das gilt auch heute noch für den modernen Pilger. Der Weg ist das Ziel und Pilgern ist ein Weg zu sich selbst! (Quelle: Walter Krieger, Österreichisches Pastoralinstitut)
Doch welchen Weg soll man einschlagen? Gerade in Europa existiert ein riesiges Wegenetz von Pilgerwegen.
Frage: Welche sind die bekanntesten Pilgerwege in Europa?
Am bekanntesten sind die diversen Jakobswege mit Santiago de Compostela als derzeit populärstem Pilgerziel Europas. Daneben existieren noch andere lange Pilgerwege, wie der Weg nach Rom oder der Jerusalemweg. Auf regionaler Ebene lassen sich der Wolfgangweg oder die Via Sacra ebenso pilgernd begehen wie der Josefweg, der Weg der Entschleunigung oder der Johannesweg, welche in jüngerer Zeit entstanden sind. Sie alle sind mehr als drei Tagesetappen lang und verbinden spirituelle Orte und Kraftplätze. (Quelle: www.pilgerwege.at)

Exakt 301.036 Jakobspilger haben 2017 die Kathedrale in Santiago de Compostela erreicht und jährlich werden mehr gezählt.
Frage: Aus welchem Personenkreis setzt sich das Pilgervolk eigentlich zusammen?
Heute pilgert „jeder“ im Sinne von jede gesellschaftliche Schicht. Den größten Anteil an den Pilgern haben die Studenten, aber auch viele (Neo-) Pensionisten, Arbeiter, leitende Angestellte oder Priester pilgern nach Santiago de Compostela. Warum pilgern so viele Studenten, mag man sich jetzt fragen? Dafür gibt es eine simple Erklärung. Das Gros davon entfällt auf Spanier, denn in Spanien gilt es als Eintrittskarte ins Berufsleben, einmal nach Santiago de Compostela gepilgert zu sein.
Weil ich weder Student bin, der sich seine (Aus-) Zeit ein wenig einteilen kann, noch meinen Ruhestand unmittelbar vor Augen habe, kann ich mir eine längere Pilgerschaft ohne Aufgabe meines Jobs nicht leisten. Bei mir funktioniert das Pilgern derzeit also nur an den freien Tagen oder im Urlaub.
Bei dem mit der Muschel versehenen Weg aus der Karte handelt es sich übrigens um den Hauptweg des Österreichischen Jakobsweges, welcher in Wolfsthal beginnt und im wesentlichen entlang der Donau, später der Traun, der Vöckla, der Saalach und dem Inn bis nach Feldkirch bzw. Rankweil im Rheintal führt.
Frage: Welche Literatur soll den Jakobspilger auf dem Hauptweg in Österreich begleiten?
Wenn man den Weg schon geht, benötigt man auch die entsprechende Führerliteratur. Da fällt mir zuerst jene für Eilige von Peter Lindenthal („Auf dem Jakobsweg durch Österreich“, erschienen im Tyrolia-Verlag, dzt. 7.Auflage 2013) in die Hände. Herr Lindenthal skizziert einen Etappenplan, mit dem sich Feldkirch in 28 Tagen erreichen lassen soll. In diesem Buch wird Wert auf die Beschreibung der direktesten Verbindung gelegt. Bei den vorgeschlagenen Quartieren ist dieser Führer allerdings anscheinend nicht mehr ‚up to date‘.

Die eingeschränkte Brauchbarkeit dieses Führerwerkes feststellend, besorge ich mir später jenes aus dem Conrad Stein Verlag. Der Autor Reinhard Dippelreither beschreibt den Weg in „Österreich: Jakobsweg“ (dzt. 4. überarb. Auflage 2013) recht detailliert und oft auch aktualisiert, so dass man ohne zusätzliche Karte auskommen kann. So nebenbei hat dieses Buch auch das komfortablere Format. Ein weiterer Vorteil ist, dass der von Dippelreither beschriebene Weg besser markiert ist, während man die kleinen Holzschilder des Peter Lindenthal mit Adleraugen suchen muss, falls sie nicht schon längst Sammlerbeute sind.
Relativ neu am Markt ist der 2016 in der ersten Auflage erschienene Wanderführer „Jakobswege Österreich“ (Rosemarie Stöckl-Pexa, Marcus Stöckl) aus dem Hause Rother. Neben dem Hauptweg ist darin auch der „Weinviertler Jakobsweg“ beschrieben. Dieses Buch kenne ich noch nicht und kann es daher auch nicht bewerten.
Ich auf dem Österreichischen Jakobsweg…coming soon
Nach dieser Einleitung kann ich nun endlich meine Begehung des Österreichischen Jakobsweges von 2010 bis 2016 hier im Blog aufarbeiten. Die Strecke von Wels bis nach Rankweil bewältigte ich übrigens in einem Kalenderjahr und jene von Salzburg Stadt bis ins Rheintal innerhalb von fünfzehn Tagen. All jenen Lesern dieses Beitrages, welche sich auch 2018 wieder auf den „Weg“ machen, wünsche ich ein herzliches
Buen Camino
Hm, da würd ich mich beim letzten Punkt einreihen, leicht gewürzt mit einigen anderen Punkten. Letztendlich ist das aber egal. Nach ca. 8000 Pilgerkilometer weiß ich, die Pilger bzw. Weitwanderer ticken alle ähnlich. Die nicht dieses Interesse teilen, ticken höchstens aufs Hirn ;-).
Viel Spaß beim Aufarbeiten deiner gegangenen Wege und ebenfalls
buen camino für die die noch folgen :-).
Lieben Gruß
Renate
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Oh, da freu‘ ich mich aber drauf!
„Nachlese“, Erinnerung UND Tipps für das Kommende 🙂
Dir viel Spaß beim „Nachgehen“
Buen camino und liebe Grüße,
Henrike.
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