Wir lassen die pulsierende Metropole Baku hinter uns und brechen schon früh in Richtung Sheki (aserbaidschanisch: Shaki) auf, um dem Berufsverkehr zu entgehen. Durch die halbwüstenartige Aransenke hindurch führend, beginnt die Straße M4, ein zweispuriger und relativ gut ausgebauter Highway, dessen Verlauf sich in etwa an jenem der alten Seidenstraße orientiert, kontinuierlich in die östlichen Ausläufer des Kaukasus zu steigen. Bald machen sich Ansätze von Vegetation, wie etwa Grassteppe und niederes Buschwerk bemerkbar – Futter für kleinere Schaf- und Ziegenherden.

An der Straße nach Sheki liegt 122 km westlich von Baku im Landesinneren auf 800m Seehöhe – sich über einen Hang erstreckend – Shamakhi, eine früher bedeutende Handelsstadt an der Seidenstraße und ehemalige Hauptstadt während der Regentschaft der Shirvan-Dynastie. Die Ursache für den Niedergang der Stadt war, dass ihr im Verlauf ihrer Geschichte mehrere schwere Erdbeben so sehr zusetzten, dass man sich nach dem fatalen Beben von 1859 dazu entschloss, die Hauptstadt nach Baku zu verlegen. Gleich drei tektonische Platten reiben sich tief unter der Stadt aneinander, so dass man Alexandre Dumas in der einschlägigen Reiseliteratur mit den Worten zitiert, man wisse nicht „ob die Stadt morgen noch stehen wird.“
Die Stadt
Mir ist es im vergangenen Mai jedenfalls noch vergönnt, mich in Shamakhi umzusehen. Hier eine Pause einzulegen würde ich auf dieser Fahrt auch empfehlen, obwohl man heute historisch relevante Hinweise auf Shamakhis Blütezeit kaum noch findet. Darum reicht ein eher kurzer Aufenthalt, um die beiden Highlights der nur noch gut 20.000 Einwohner zählenden Stadt zu erkunden – nämlich die an der Hauptstraße im Zentrum liegende Juma Moschee aus dem 19. Jahrhundert – die in ihrem Kern jedoch bereits über tausend Jahre Bestand hat – sowie die Sieben-Kuppel-Mausoleen (Yeddi Gumbaz) auf einer Anhöhe etwas südlich davon.
Die Juma Moschee
Hierbei handelt es sich um die wahrscheinlich größte Attraktion für Besucher der Stadt. Juma Moschee heißt übersetzt Freitags-Moschee und bedeutet, dass Gläubige hier an Freitagen zum Gebet zusammenkommen – auch jene, die sonst an anderen Wochentagen nicht oder in kleinere Moscheen gehen. Aus diesem Grund sind die Juma Moscheen räumlich großzügiger als andere gebaut und bestechen mit einer anderen Silhuette.

Das Besondere an der Juma Moschee in Shamakhi ist, dass sie die älteste des gesamten Südkaukasus sein soll. Errichtet ist sie auf den Fundamenten einer früheren Moschee. Ein Stein auf dem Vorplatz, wo man auch noch ausgegrabene Reste der alten Moschee findet, weist dreisprachig mit folgenden Worten auf die teils tragische Geschichte des monumentalen Bauwerkes hin.
„The Juma Mosque of Shamakhy was constructed in 743. It was seriously damaged in the aftermath of 1859 and 1902. During the March genocide of 1918, Armenian nationalists set this mosque on fire. In 2010-2013, it has been extensively restored and rebuilt in accordance with the decree of President Ilham Aliyev.“

Nach einem Brand 1918 wurde die Moschee erst in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wieder instandgesetzt und zuletzt 2009 so rekonstruiert, wie sie ursprünglich ausgesehen hat. Dennoch wirkt sie nun wie neu.

Seit den 90er Jahren erfüllt die Moschee wieder ihre Funktion als Gotteshaus. Äußerlich fallen sofort die beiden Minarette an den Rändern des Komplexes auf. Im Inneren besticht sie durch massive Säulen und rohe, erdfarbene Steinwände. Der ausgelegte Teppich weist für jeden darauf Betenden einen eigenen Sektor auf.

Das Innengewölbe besteht aus drei Hallen, der etwas größeren Haupthalle in der Mitte und den beiden Seitenhallen. Jede Halle hat angeblich ihren eigenen Mihrab, doch nur in der Haupthalle ist dieser wegen seiner zahlreichen Verzierungen deutlich erkennbar und gleichzeitig auch der optische Anziehungspunkt schlechthin. Laut Wikipedia bezeichnet das Wort heute nahezu ausschließlich die Gebetsnische in der Moschee.
„Ein mihrāb besteht aus einem von zwei oder mehr Säulen getragenen Bogen oder Gewölbe. Der Raum zwischen den Säulen ist flach oder zurückgesetzt, wodurch der Eindruck einer Tür oder eines Durchganges entsteht. Viele Mihrab-Nischen sind in die Wand integriert und treten nach außen nicht in Erscheinung.“
Während der Besichtigung lässt sich der vor der Gebetsnische in sein Gebet versunkene Gläubige nicht von uns stören.

Der mihrāb ist der Ort des Imams während der täglichen Gebete und des Freitagsgebetes. Auf dessen rechter Seite an der Wand befindet sich die Kanzel (minbar), auf der am Freitag die Predigt gehalten wird. Früher wurden von der Kanzel auch die Erlässe der jeweiligen Herrscher verkündet.

Im Islam sind bildliche Darstellungen strikt untersagt, weswegen anfangs eher schmucklose Räume entstanden. Um die islamischen Gotteshäuser von profaner Architektur sofort unterscheidbar zu machen, behalf man sich mit Geometrie, Ornamenten, Kalligrafie und diversen Kunsthandwerken wie beispielsweise Kachel- Teppich-, Tischler- Glasmaler-, Bildhauer- sowie Stuckhandwerke.
Auch die Decken und Kuppeln – davon eine große über der Haupthalle und kleinere über den Seitenhallen – sind unter anderem mit Malereien, Kalligrafien und Stalaktitengewölben und -gesimsen (Muqarnas) reichhaltig verziert.
Muqarnas werden in der Regel als oberer Abschluss von Nischen verwendet oder beim Übergang zwischen einer viereckigen Basis und einer Kuppel.
Die besondere Bedeutung des Zusammenspieles von Licht, Schatten und Wasser ist wegen des warmen Klimas in den islamischen Ländern durchaus nachvollziehbar. Die Wirkung von Licht und Schatten ist in den Hallen unter den Kuppeln am besten zu beobachten.

Das Wasser – als Brunnen oder Wasserbecken im Betraum oder im Hof – war zur Reinigung und zur Kühlung vorgesehen.

Die Höfe wurden mit Arkaden oder Kolonnaden beschattet.
Bei einer Kolonnade handelt es sich um einen „Säulengang (…), der im Unterschied zur Arkade und zum Bogengang ein gerades Gebälk besitzt.“
Ein Taleinschnitt ca. 1.5 km weiter südlich trennt die auf einem Hügel errichteten Sieben-Kuppel-Mausoleen („Yeddi Gumbaz“) von der Stadt.
Die Mausoleen von Yeddi Gumbaz
Die sieben Kuppeln bezeichnen die sieben Gräber von Khans sowie deren Familien aus der Shirvan-Dynastie. Errichtet wurden sie zu Ehren des letzten Khans von Shamakhi, Khan Mustafa, nach den Skizzen des Architekten ustad Taghi. Architektonisch sind die Mausoleen der Architektenschule von Shirvan-Absheron zuzurechnen. Drei der achteckigen Mausoleen – darunter auch jenes des Khan Mustafa – sind heute noch erhalten und trotz ihrer beinahe dreihundertjährigen Geschichte und der zahlreichen seismischen Erschütterungen sogar in gutem Zustand.

Den anderen jedoch fehlen bereits die Kuppeln sowie Teile der Gemäuer. Sofern das Dach des Mausoleums noch vollständig ist, haben sich auch die Farben der darin befindlichen Grabsteine noch nicht ausgebleicht oder abgelöst.

Über den Eingängen zu den Mausoleen befindet sich eine Inschrift, die sogenannte „Kitabe“.

Der die Mausoleen umgebende Friedhof wird heute noch genutzt, was an den zahlreichen neueren Gräbern deutlich erkennbar ist, wo auf stehenden, schwarzen Steinplatten Fotos derer abgebildet sind, die hier ihre letzte Ruhe finden.

Was ich leider nicht gesehen habe
Aus Zeitgründen mussten wir das Diri-Baba-Mausoleum in Märäsä und das Heiligtum Pirsaat Pir – eine Minimoschee mit überdimensioniertem Dach – auslassen. Beides soll sehenswert sein und den Abstecher von der Route nach Sheki lohnen.
Wissenswertes über die Stadt und die Region Shamakhi
Islam und der Anbau von Wein – passt das zusammen? Trotz der islamisch geprägten Weltanschauung des Landes florierte in Schamakhi die Weinproduktion, denn während der Sowjet-Zeit hat sich die Region als Weinanbaugebiet einen Namen gemacht. Das ging so lange, bis Michail Gorbatschow eine groß angelegte Anti-Alkohol-Kampagne startete, woraufhin viele der Weinrieden vernichtet wurden. Die Stadt versucht nun, wieder an die Zeit vor dieser drastischen Maßnahme anzuknüpfen und ihren Status als Weinstadt wieder zu erlangen. Ein weiterer starker Wirtschaftszweig ist die Herstellung von Teppichen.
Beim Recherchieren für diesen Beitrag bin ich auch auf die Information gestoßen, dass Shamakhi berühmt für seinen Joghurt sein soll. So schreibt Beatrice Sonntag in ihrem Blog, dass man in Shamakhi zu einer Joghurtverkostung gehen kann. Und weiter: „Joghurt gibt es hier nicht nur in Form von langweiligem einfachem Joghurt, sondern auch mit Dill und Kräutern, mit Eiern und Zwiebeln, auf einer Art Crepe und schließlich kann man hier live miterleben, wie Butter daraus hergestellt wird.“
Die Pirkuli-Region unweit der Stadt beherbergt ein Observatorium, in dem man unter der Woche und in den Nachtstunden die Astronomen bei ihrer Arbeit beobachten kann.
In den Kaukasus hinein
Wir verlassen Shamakhi, wo zahlreiche Schriftsteller Aserbaidschans geboren wurden, was der Stadt auch den Namen „Stadt der Literatur“ einbrachte, und fahren weiter über den Muganly-Pass , wo sich tief unter uns der Fluss Agsu windet.

Hier heroben beginnen die ersten Wälder und es wird immer grüner, bevor man wieder nach Ismayilli hinunter fährt – eine eher uninteressante Stadt, die wir links liegen lassen. Der Große Kaukasus – die Bergkette an der aserbaidschanisch-russischen Grenze – rückt immer näher. Vereinzelt lassen sich in den Gipfelregionen erste Altschneefelder ausmachen.
Vedre bazari
Wir durchqueren die Stadt Qabala und halten später – wahrscheinlich kurz nach Nic (Nij) – bei einer Zeile von Verkaufsständen („Vedre bazari“) an der Straße, wo die Ware auch in Kübeln und Körben verkauft wird. Ein paar Kostproben gibt man mir mit, ein kompletter Kübel (normalerweise die Mindestverkaufsmenge) ist mir allerdings deutlich zu viel.

Noch am Nachmittag kommen wir in der Provinzhauptstadt Sheki an. Wir haben zu Mittag nur aus dem Supermarkt in Shamakhi Vorräte für die Fahrt eingekauft und machen uns nach unserer Ankunft in Sheki – quasi als gemütlicher Tagesausklang – zu einem netten Restaurant auf.
Zum Abschluss
Den Besuch der Moschee sowie der Mausoleen in Shamakhi habe ich nicht bereut, denn ohne diesen Zwischenstopp wäre es nur ein reiner Fahrtag geworden. Wem das noch nicht reicht, dem seien die oben angesprochenen und von mir nicht besuchten points of interest zur näheren Erkundung vorgeschlagen. Nach dem intensiven Programm des Vortages in Baku wollte ich mir das jedoch nicht mehr antun.
Ein voller Tag bleibt mir in Aserbaidschan noch und der soll für Sheki und Umgebung so gut als möglich genutzt werden, bevor wir am übernächsten Tag die Grenze nach Georgien passieren. Ab da werde ich dann auf meiner Reise „Kaukasus pur“ erleben.
Hat euch dieser Beitrag gefallen bzw. war er für euch informativ? Konnte ich irgendjemanden unter euch zu einem Trip auf der Route der aserbaidschanischen Seidenstraße inspirieren? Wollt ihr wissen, wie es weitergeht? Dann bleibt dran…
Anm.: fett gedruckte Begriffserklärungen sind in den meisten Fällen aus Wikipedia entnommen.