Mit dem Verlassen des Naturparks Gantrisch steht mir auf den nun kommenden Kilometern eine erste echte Zäsur bevor. Sie wird abrupt kommen und für mich innerhalb weniger Minuten schlagend werden. Ich meine hiermit natürlich die Überschreitung der deutsch-französischen Sprachgrenze, also weg vom Schwyzerdütsch und hin zum etwas nasalen Tonfall der französisch sprechenden Schweizer.
Es ist bereits beinahe mittlerer Nachmittag, als ich vom Gasthof in Schwarzenburg aufbreche, um die restlichen knapp neun Kilometer nach St. Antoni zu bewältigen. Durch Wohngebiete erreiche ich mehrere periphere Bauernhöfe am Stadtrand, von dort begebe ich mich durch Waldgebiet auf teilweise geschichtsträchtigen und gepflasterten Wegen aus der Römerzeit steil abwärts in das Tal der Sense.
Mehrere derartige Abschnitte befinden sich zwischen Schwarzenburg und Tafers. Diese Wege ließ man aus dem Fels hauen und im typisch römischen Stil pflastern. Mancherorts findet man auch historische Inschriften im Fels.
Einen der hier erwähnten Abschnitte passiere ich bei der Wegteilung „Torenöli“, kurz darauf bin ich bei einem Parkplatz an der Sense. Der Zufahrtsstraße folgend und tiefer in den Sensegraben hinein gehend, habe ich bald die ebenfalls historische Sodbachbrügg, eine gedeckte Holzbrücke aus dem Jahr 1867 über die Sense vor mir. Hier wechsle ich vom Naturpark Gantrisch in das Freiburger Mittelland, „eine hügelige Hochebene im Übergang zu den Alpen“ wie es Hartmut Engel im Wanderbuch des Outdoor-Verlages ausdrückt.
Nun im Kanton Fribourg, umgeht der Jakobsweg ein nahegelegenes Ausflugsrestaurant und setzt etwas oberhalb zu einem steilen Anstieg durch den Wald an. Teilweise ist hier wieder mit oben abgerundeten, glatten Steinen gepflastert. Ein Waldarbeiter lässt weithin hörbar seine Motorsäge singen, so höre ich erst spät, dass sich ein dumpfes Donnergrollen als Begleitmusik dazumischt. Wieder ins freie Gelände tretend – immer noch deutlich bergan – spüre ich erste Regentropfen, die sich rasch zu anhaltendem Regen intensivieren. Heitenried, der nächste Durchgangsort, ist noch nicht zu sehen und der Weiterweg dorthin wirkt auf mich bei diesen Bedingungen zu exponiert. In den Wald zurück auf den jetzt nassen, glatten Steinen zu gehen, ist mir zu unfallträchtig. Ich sitze also da, wo ich jetzt bin, fest. Wäre ich besser zuvor doch ins Restaurant gegangen, die Wartezeit wäre dort angenehmer gewesen.
Das Warten dauert eine knappe Stunde, dann geht es weiter bergauf zu einer nach Heitenried führenden Straße. Die ersten Häuser der Streusiedlung wären gleich hinter der Kuppe gewesen. Hätte ich das gewusst, so hätte ich mich vielleicht doch noch in den Ort durchschlagen und im örtlichen Volg-Markt einkaufen können. Auffälligstes Gebäude ist die neugotische Michaeliskirche, die ich aber nicht besuche. Mein Interesse erweckt vielmehr die ehemalige sich an der Hauptstraße befindende Pilgerherberge, in der ich so gerne übernachtet hätte.
Der Weg führt nun zum Lettiswilbach in einen Graben hinab, wo auf alternativem Pfad für wenige hundert Meter ausdrücklich ohne Schuhwerk marschiert werden kann. Aber bitte nur auf dem „Barfußweg“, denn auf dem Hauptweg bekommt man nach dem Gewitterregen eine ordentliche Schlammpackung zwischen die Zehen. An dieser Stelle sollte man Heitenried mit seiner markanten Kirche wieder eines Blickes würdigen – es lohnt sich.
Auf der anderen Seite des Grabens wieder emporsteigend, streife ich den Weiler Winterlingen, der keinen nachhaltigen Eindruck auf mich macht. Stets am Waldrand nähere ich mich in einem langgezogenen Linksbogen dem Gehöft Grenchen, wo mich ein Feldweg zur nach St. Antoni führenden Straße bringt. Von da weg ist der Ort gegen das Sonnenlicht bereits zu erkennen. Durch Siedlungsgebiet betrete ich die Gemeinde, überquere dabei die ins Ortszentrum führende Straße und halte dabei Ausschau nach meiner Unterkunft. Die ist unschwer zu finden, ist ihre Lage doch mit „direkt am Jakobsweg, kurz vor der katholischen Kirche“ beschrieben und ich brauche nur noch die korrekte Adresse zu suchen. Die Hausherrin ist nicht zugegen, sie hilft mir beim Finden meines Zimmers telefonisch weiter. Im Haushalt sieht es wie in einem Trödlerladen oder auf einem Flohmarkt aus, weil sich lauter altes Zeug hier befindet, welches nur darauf zu warten scheint, dass Kundschaft es endlich ersteht. Die Wartezeit auf die Vermieterin verkürze ich mit einem Bier in einer Gastwirtschaft im Zentrum.
Doch es wird später, als sie nach Hause kommt, womit die Zeit für eine längere Unterhaltung auf das Frühstück verlegt wird. Mein Plan für den Tag ist, möglichst früh aufzubrechen, um ausreichend Zeit für Fribourg zu haben. Ich möchte die Stadt eher langsam durchqueren. Für den Weg dorthin empfiehlt mir die Vermieterin eine Variante am Galternbach (Le Gottéron) entlang nach Fribourg hinein – eine Abweichung vom Jakobsweg, mit der ich selbst bereits insgeheim spekuliere. Die entsprechende Wegteilung befindet sich im Zentrum der Gemeinde Tafers, in das ich durch den Seligraben hinab, danach am Bach Taverna entlang und anschließend über die nach Tafers hineinführende Kantonsstraße gelange. Sehenswert sind dort die um 1148 herum erstmalig urkundlich erwähnte Martinskirche sowie die beiden Kapellen am daneben befindlichen Friedhof. Vor allem die Jakobskapelle verdient wegen der bildlichen Darstellung der Legende des „Galgenwunders“ Beachtung. Unikat ist das allerdings keines, denn auch in zahlreichen andere Kirchen in vielen Ländern Europas sind Abbildungen dieser Legende zu betrachten.
Zum Galterntal wandere ich an der Hauptstraße ca. einen Kilometer in südlicher Richtung weiter und gehe dann zur Ameismüli hinunter, wo der Galternbach erreicht ist. Der Weg durch die Schlucht ist gut in Schuss gehalten und auch die Markierungen lassen nichts zu wünschen übrig. Lang anhaltende und intensive Regenfälle haben in der Vergangenheit jedoch öfter Erdrutsche ausgelöst, wodurch die Schlucht nicht immer passierbar ist. Deswegen ist es für Nachwanderer angeraten, zuvor entsprechende Erkundigungen einzuholen. Ist der Weg uneingeschränkt begehbar, bietet einem das Auf und Ab reichlich Abwechslung.
Zu Beginn habe ich kaum Begegnungen mit Menschen, das ändert sich erst gegen Ende der Schlucht, als sich diese allmählich verbreitert und mir aus der Richtung von Fribourg her einige Spaziergänger entgegenkommen. Diese grüßen ab hier so gut wie nicht mehr mit dem mittlerweile gewohnten „Gruezi“, sondern fast ausnahmslos mit einem höflichen „Bonjour“. Der genaue Beobachter seiner Umgebung wird aber schon in den Minuten vor der ersten Begegnung mit französischsprachigen Schweizern die bereits nur in deren Sprache angeschriebene Beschilderung am Wegesrand registrieren.
Auf einer asphaltierten Straße durchschreite ich ein Stadttor und stehe sogleich bei der Bernbrücke. Die Brücke stammt aus dem Jahr 1580 und muss heute noch den Verkehr aushalten, der über sie hinwegrollt. Ich bin dagegen nur ein Leichtgewicht, muss mich aber mangels separatem Gehweg dennoch über die einzige gedeckte Holzbrücke Fribourgs beeilen. Fotoshootings gibt es deshalb nur von den Endpunkten der Brücke. Gleich dahinter öffnet sich der Place du Petit Saint-Jean. Ein typisches Merkmal solcher Plätze ist das Vorhandensein eines mehrarmigen Brunnens. Für mich wesentlich ist zu diesem Zeitpunkt auch die Existenz eines kleinen Restaurants auf der Schattenseite des Platzes. Eine eingelegte Suppe geht immer und hier kann ich zum ersten Mal testen, wie weit es mit meinen Französischkenntnissen her ist.
Nach dem Aufenthalt am Platz ist mein nächstes Ziel die Kathedrale St. Niklaus. Auf meist gepflasterten Straßen geht es an mehreren interessanten Brunnen vorbei bergan bis zur Grande Rue, durch welche ich bis zur Kathedrale vorankomme. Selbstverständlich sehe ich mir auch das Innere der Kathedrale an, mir wird sogar das Gittertor vor dem Altar geöffnet, damit ich diesen Bereich besser erkunden kann. Sehenswert sind insbesondere die Glasmalereien der Jugendstilfenster. Einen möglichen Aufstieg auf den Turm will ich mir mit meinem Rucksack nicht antun. Ich bin auch zu schwer beeindruckt von der monumentalen Bauweise der Kathedrale, als dass ich mich davon jetzt mit einem nicht minder beeindruckenden Blick über die Altstadt Fribourgs ablenken ließe.
Beachtung verdient auch der Rathausplatz mit dem Georgsbrunnen gleich links nach der Kathedrale. Obwohl der Platz selbst vom Verkehr befreit ist, dröhnen hinter mir die Motoren des Durchzugsverkehrs, was mich eilends meinen Weg in der nahen Fußgängerzone fortsetzen lässt. Kleingewerbe, Restaurants und Cafés reihen sich hier aneinander. Die Wahl fällt mir schwer und am Ende der FUZO habe ich mich noch immer nicht entscheiden können, ob ich mich irgendwo hinsetzen mag.
Nach ein paar weiteren Straßenquerungen erreiche ich das Bahnhofsareal, welches durch eine Unterführung unterquert wird. Den interessanten Teil von Fribourg habe ich hinter mir, jetzt gehe ich nur noch durch Wohngebiet bis an einen größeren Kreisverkehr an der Route de Villars, einer der Haupteinfallstraßen ins Zentrum von Fribourg. Links voraus beginnt der Wald Bois de Belle-Croix, in den mich mein Weg hineinführt. Der Eingang in den Wald ist mit einer Sitzbank und dem 2,5 Meter hohen Steinkreuz Belle-Croix gekennzeichnet.
Ich lasse mich auf der Bank nieder, um meine Füße nach der Stadtdurchquerung etwas auslüften zu lassen. Mein Quartier für heute Nacht habe ich bereits am Vorabend reservieren können, von dieser Seite kommt also zusätzliche Entspannung, auch wenn ich noch bis Posieux zu gehen habe. All zu weit sollte das aber nicht mehr entfernt sein. Am nächhsten Tag will ich es dann bis an das andere Ende des Freiburger Mittellandes nach Moudon oder Umgebung schaffen. Eine Reservierung hiefür gelingt mir jedoch heute keine mehr.
Wer unter euch Lesern kennt die mittelalterliche Stadt Fribourg genauer als ich? Hat jemand von euch ein Foto vom Turm über die Altstadt geschossen? Was ist mir dadurch entgangen, dass ich einen anderen Weg nach Fribourg hinein gewählt habe?
Lasst es mich wissen!