Eisenwurzenweg 08: Tag 12 – Wackeln im Sturm (über Stumpfmauer und Tanzboden in die Steiermark)

Einmal ist es mir im Herbst 2018 noch vergönnt, eine Etappe auf dem Eisenwurzenweg zu abzuhaken. Das ist insofern für mich wichtig, da es sich um die erste alpine Gebirgsüberschreitung auf der Tour vom nördlichsten zum südlichsten Punkt Österreichs handelt. Im Folgejahr hätte ich wahrscheinlich bis weit in den Frühsommer hinein auf eine Gelegenheit warten müssen, die Kaliber Stumpfmauer und Tanzboden im Dreiländereck Niederösterreich, Oberösterreich und Steiermark – beide über 1700m hoch – anzugehen.

Die Anreise erfolgt nicht von daheim aus, sondern ich bin schon davor ein paar Tage auf dem Nordalpenweg im Rofan in Tirol unterwegs. So wandere ich vormittags noch am Achensee entlang und mache mich dann mittags zu einer rund sechsstündigen Fahrt mit mehrmaligem Umsteigen ins Ybbstal auf.  Das funktioniert so: Ich nehme in Pertisau beim Karwendellift Bus 1, welcher mich nach Maurach zum Bus 2 bringt. Dann geht die Fahrt weiter ins Inntal hinab, wo ich in Jenbach in den voll besetzten Railjet 1 einsteige. Weil dieser nicht in Amstetten hält, muss ich in Salzburg in Railjet 2 umsteigen, um mit nicht einmal zehn Minuten Umsteigezeit den Regionalzug von Amstetten nach Waidhofen an der Ybbs zu erwischen. Dort wartet vor dem Bahnhof schon Bus 3 auf mich, um mich weiter ins Ybbstal hinein zu befördern. Weil dieser in Opponitz jedoch die Richtung nach Göstling an der Ybbs einschlägt, bedarf es noch eines Busses 4, um ans Ziel in Hollenstein an der Ybbs zu gelangen, wo ich perfekt getimed zum Abendessen erscheine.

Recht früh soll es am nächsten Tag losgehen und dank einer Gruppe von Arbeitern lässt sich für mich ein Frühstück um halb sieben organisieren. Das Wetter soll klar sein und nur von stärkeren Föhnwinden beeinträchtigt werden. Die Nacht verläuft ohne nennenswerte Störungen.

Tag der Tour: 11.10.2018;

Länge: 24,5 km, Aufstieg: 1450m, Abstieg: 1450m, Dauer: 8:15 Stunden;

Noch vor 7:30 Uhr bin ich aus dem Haus und von dannen. Noch lässt sich kaum jemand im Ort blicken, es sieht noch richtig verschlafen im Ortszentrum von Hollenstein an der Ybbs aus. Auf bereits vom letzten Mal bekanntem Weg marschiere ich durch den langgezogenen Ortsteil Dornleiten und habe sogleich freie Sicht auf mein erstes größeres Ziel heute – den Gipfel der Stumpfmauer. Der links im Hintergrund befindliche Gamsstein hingegen befindet sich nicht auf meiner heutigen To-do-Liste. Dass ich hier entlang der Eisenstraße wandere, wird mir durch den hier typischen Treffenguthammer verdeutlicht.

Unterhalb des Gallenzer Kogels wechsle ich auf den Güterweg Wenten, an dessen Beginn mir ein Schild einen längeren Marsch für heute prophezeit. Ab hier wird es nun rasch ernst mit den Höhenmetern, voerst ist es aber nur eine Zufahrt zu einem Gehöft, bei diesem liegt Hollenstein an der Ybbs allerdings bereits gut hundert Meter tiefer und noch im Schatten, während der Oisberg von der höher steigenden Sonne angewärmt wird. Kaum erreiche ich den Waldrand, vernehme ich ein sich zügig näherndes Rauschen und im nächsten Augenblick werden schon Staub und Blätter in der Gegend vom plötzlich hereinbrechenden Föhn durcheinander gewirbelt. Lange hat es ja nicht gedauert, bis er einsetzt und der Wind wird von nun an bis zur Teufelskirche (bereits hinter dem Tanzboden in der Steiermark) mein ständiger Begleiter auf dem Weg bleiben. Ein steiler zur Voralpe führender Forstweg lässt mich in langgezogenen Kehren weiter deutlich an Höhe gewinnen. Die erste Kehre wird durch einen Waldpfad abgekürzt, der Rest des Forstweges bringt Licht- und Schattenspiele mit sich.

In einer scharfen Rechtskurve sollte man den Einstieg in den Hugo-Zettel-Steig nicht übersehen, sonst landet man auf der Wentner Alm und muss wieder umkehren. Auch, wenn die freie Sicht auf die Stumpfmauer von der Forststraße aus sehr beeindruckend ist, der Steig verläuft meist direkt am nach oben ziehenden Kamm durch dichten Nadelwald. Wenigstens macht sich hier der Wind nicht so stark bemerkbar, mein Vorgesetzter dafür umso mehr, was mir ein ungeplantes Telefonat einbringt. Ein mir nachfolgender leichtfüßiger und kaum bepackter Wanderer nützt diesen Umstand aus und zieht an mir vorbei.

So etwas aus dem Tritt gekommen schnaufe ich weiter bergwärts. Fels- und Gesteinsblöcke säumen nun den Weg, der jetzt öfter auch direkt an der Geländekante entlang führt, wo links unterhalb von mir das Gebiet der Voralpe liegt. Zumindest ein toller Aussichtspunkt kommt mir in diesem Bereich unter. Hollenstein an der Ybbs, Oisberg, Dornleiten und Königsberg – alles klar im Postkartenmotiv unterhalb von mir oder mir gegenüber.

Sobald ich den Wald hinter mir zurücklasse und in den Latschengürtel eintrete, pfeift mir der immer stärker werdende Wind wieder um die Ohren. Das Krummholz kommt dabei kaum zur Ruhe, sondern erhält bei jeder Windböe einen frischen Impuls, seine unzähligen Äste und Verzweigungen hin und her zu bewegen. Bewegt man sich hart am Abgrund, kann das unangenehm werden.  Der Weg windet sich noch ein paar Mal um Gesteinsblöcke herum und wird dann plötzlich, aber nur vorübergehend, flacher. Hier bei der Felsformation „Steinerne Katz“ befindet sich eine Bank zum Rasten – ein Angebot, das ich trotz fehlendem Windschutz gerne annehme. Die Aussicht ins schon tief unter mir liegende Ybbstal sowie über die gesamten Ybbstaler Alpen ist abermals phänomenal. Wer den kräfteraubenden Anstieg bis hierher geschafft hat, sollte aber nicht nur zurück blicken, sondern auch nach vorne schauen. Der Gipfel der Stumpfmauer ist bereits ganz nahe und keine halbe Stunde ist es mehr bis dorthin. Der an mir vorbeigezogene Wanderer winkt mir von oben schon entgegen.

Genug Motivation also, auch das letzte verbleibende Wegstück bis zum Gipfel schleunigst zu erledigen. Die nun folgenden paar Minuten auf dem Flachstück hat man noch Bedenkzeit, ob man wirklich zum Gipfel hinauf möchte oder diesen lieber doch umgehen mag. Trotz des starken Windes entscheide ich mich für den Gipfelsturm (wie passend!) und somit für den Kopetzkysteig. Nach einer kurzen Kraxeleinlage stehe ich oben und überblicke nun nicht nur das, was ich vom Rastplatz aus schon gesehen habe, sondern auch die Ennstaler Alpen, die Gesäuseberge und das Tote Gebirge. Vom eiligen Wanderer von vorhin ist natürlich längst nichts mehr zu sehen.

Auch hier verbleibe ich für ein paar Minuten, dann wird mir der Wind zu viel und ich beginne mit dem steilen, teils seilversicherten Abstieg über den bereits vorhin erwähnten Kopetzkysteig. Der bereits in der Steiermark liegende Gipfel des Tanzboden scheint so nah, wenn die 150 Meter Abstieg und nicht viel weniger Meter an Wiederaufstieg nicht wären. Trittsicherheit und gutes Schuhwerk sind auf diesen Passagen unabdingbar, wenn man heil über die steilen Geröllstufen kommen will. Der Weg vereinigt sich weiter unten wieder mit jenem, den die Gipfelverweigerer nehmen. Beinahe schon im Sattel schlüpfe ich noch durch einen Felsdurchlass („Lucken“), dann habe ich den Zwischenabstieg geschafft.

Der Wiederaufstieg zum Tanzboden gestaltet sich viel unspektakulärer, er ist aber nicht weniger mühsam, gerade auch deswegen, weil der Föhnsturm hier heroben noch wilder tobt. Wieder verweile ich hier und genieße die Aussicht zurück zur Stumpfmauer und nach Süden zu meinen nächsten Zielen, deren Realisierung jedoch bis ins nächste Frühjahr oder bis zum Sommer warten muss.

Den Blick kammabwärts gerichtet erkenne ich die Teufelskirche, eine kleinere Erhebung am Ende des für mich sichtbaren Kammes, an der mich mein Weg laut Beschreibung vorbeiführen soll. Kammweg oder Almweg? Diese Frage stellt sich mir in dem Moment, als ich meinen Rucksack wieder schultere, denn ich habe direkt vor einer Weggabelung pausiert. Bei dem vorherrschenden Föhnsturm entscheide ich mich natürlich spontan für den Almweg, allerdings hege ich auf der mittlerweile verlassenen Alm Zweifel, ob diese Entscheidung auch die richtige war. Der Sturm wird nicht schwächer, der Weg bis zur Teufelskirche scheint länger und begehbar ist der Almboden auch nicht allzu gut. Zeitweise komme ich mir vor wie auf einer dicken Schaumstoffmatte. Die teilweise lückenhafte Markierung tut da noch ihr übriges und ich muss äußerst konzentriert gehen, um den Weg nicht zu verlieren. Über eine kleine Einsattelung bei der Teufelskirche muss ich noch drüber. Beim Anstieg zu dieser dreht der Sturm noch einmal ordentlich auf.

Kaum bin ich aber über den Sattel hinweg, herrscht mehr oder weniger – Flaute! Auch der Weg nimmt jetzt wieder deutlichere Konturen an und nach wenigen Minuten sind Alm- und Kammweg wieder vereint. Es geht nun mit beträchtlichem Höhenverlust zur Hinteralm bei einer einzelne Kehre einer Forststraße, welche schon von weit oben auszumachen ist, hinab.

Ein letztes Mal sehe ich von hier aus weiter entfernte Bergpanoramen, die zusehends von Dunst und vom Wind aufgewirbelten Staub eingehüllt werden. Eine kurze Pause ist auf der Alm auch noch fällig, bevor es durch eine Schneise im Wald weiter abwärts geht, bis der Wanderweg in unmittelbarer Nähe der Halsmoaralmhütte in einen Forstweg einmündet, dessen grober Kies das Sonnenlicht sehr stark reflektiert. Da blicke ich lieber nach oben zur Teufelskirche und zur Hüttstatt.

An den Hängen des Schneiderkogels und des Bärenkopfes wandere ich zielstrebig einmal auf dem Forstweg, dann wieder auf einem Waldpfad auf Altenmarkt im Tal zu. Weder vermeintliche Absperrungen, noch verwachsene Stellen der Pfade können mich dabei ausbremsen. Am Ende eines der Länge nach durchschrittenen Grabens stoße ich auf den Güterweg nach Hainbachstein.

An einer Kreuzung in Hainbachstein wende ich mich einer noch weiter bergab führenden, mittlerweile asphaltierten Straße zu. Sie bringt mich an ein Industriegelände, dessen Parkplatz ich quere, um auf einem Fuß-/Radweg an den Ortsrand von Altenmarkt zu gelangen. Der Eisenwurzenweg tangiert den Ort nur, um sich aber Stempel und Nahrungs- bzw. Flüssigkeitsnachschub zu besorgen, kommt man nicht darum herum, entweder an der Straße weiter zu gehen oder etwas abseits davon durch ein kleines Wäldchen zu einem Sportplatz hin. Hinter der darauffolgenden Straßenbiegung befindet sich der Gasthof, den auch ich aufsuche. Ich habe seit dem Frühstück nichts Nennenswertes mehr verzehren können, eine entsprechende Infrastruktur ist auf dem gesamten Weg hierher schlicht und ergreifend nicht vorhanden.

Auf dem selben Waldweg geht es etwas später wieder zurück zum Weitwanderweg, welcher zwischen Altenmarkt und der Ennsbrücke den Schotter- oder Güterweg „Ennsfeld“ benutzt. Bei den Häusern von Uferleiten wechsle ich auf die aus Altenmarkt herausführende Straße und habe augenblicklich die Ennsbrücke vor mir, auf deren anderer Seite der Ort Weißenbach an der Enns beginnt. So weit komme ich jedoch heute nicht mehr, weil unmittelbar nach der Brücke eine kleine Straße nach rechts zum Bahnhof Weißenbach-St. Gallen hinableitet. Das Timing ist für mich recht günstig und ich habe kaum mehr als eine Viertelstunde auf den nächsten Zug zu warten. Dass meine Rückkehr zu diesem Bahnhof im Sommer 2019 auf ganz anderem, umständlichem Weg erfolgen wird, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ansatzweise ahnen.

Auf der Heimfahrt beeindruckt mich die Enge des Tales, durch das sich die Enns ihr Bett gegraben hat. Viel Platz ist da für anderes als Wasser kaum noch, weshalb die Landschaft abschnittsweise noch beinahe unberührt von menschlichen Eingriffen wirkt – die Verkehrsinfrastruktur einmal ausgenommen.

Der Abschnitt des Eisenwurzenweges im Dreiländereck zwischen Hollenstein an der Ybbs und Altenmarkt macht auf mich zumindest unter der Woche einen eher einsamen Eindruck. Viele Wanderer sind mir auf dem gesamten Weg nicht begegnet, ausgenommen vielleicht zwischen den beiden Gipfeln. Mag sein, dass sich das an den Wochenenden ändert.

Auf der Ennstalerhütte am Ende der nächsten Etappe feiert man bereits den diesjährigen Saisonschluss, weshalb es für mich in jedem Fall erst Mitte 2019 wieder auf dem Eisenwurzenweg weitergehen kann. Der alpine Charakter der Wege wird mir von nun an bis zum Ziel auf dem Seebergsattel erhalten bleiben. Meine Aktivitäten auf diesem Weitwanderweg werden sich somit auf die Sommermonate 2019 konzentrieren müssen.

Ein wenig Spannung verspricht auch der Zeitpunkt meines Zieleinlaufes am „Südpol“ Österreichs: Ich habe dieses Projekt am 05.09.2018 begonnen. Werde ich es bis zum 04.09.2019 – also binnen Jahresfrist – finalisieren können?

Wem von euch sagen die Berggipfel Stumpfmauer und Tanzboden etwas? Wer von euch hat diese Überschreitung bereits gemacht? Wie waren eure Erfahrungen? Lasst es mich wissen!

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