Nationalpark Lagodechi: Wandern im Urwald Georgiens

Nach nicht einmal zwei Stunden sind die Beamten der Grenzkontrolle mit den Einreiseformalitäten fertig und wir dürfen passieren. Die Fahrt geht nun quer durch die nordöstlichste Region Georgiens, nämlich das für seine hervorragenden Weine bekannte Kachetien. Nach nur wenigen Kilometern Fahrt taucht mit Lagodechi bereits die erste größere Ortschaft vor uns auf. Diese ist für sich genommen weniger interessant, dafür verdient der nördlich anschließende Nationalpark umso mehr unsere Aufmerksamkeit.

Wissenswertes zum Lagodechi Nationalpark

Der in die UNESCO-Liste der Naturdenkmäler aufgenommene Lagodechi Nationalpark liegt auf 300 bis 3000 Meter Höhe im Großen Kaukasus – eingebettet  im Dreiländereck Georgien, Russland und Aserbaidschan – und ist der älteste im Kaukasus und der früheren Sowjetunion. Er wurde 1912 auf 3.500 Hektar in der Lagodechi- und der Schromißchewi-Schlucht auf Anregung des russischen Botanikers Nikolai Kusnezow (1864–1932), der die dort vorhandene, reichhaltige kaukasische Flora schützen wollte, gegründet und 1934 auf 17.688 Hektar erweitert.

Der Nationalpark ist sehr grün und stark bewaldet. Dessen Topografie, Flora und Fauna unterscheidet sich hier von anderen Wandergebieten in Georgien wie Tuschetien oder Swanetien wesentlich. Insbesondere machen nicht die klassischen Bergpanoramen des Großen Kaukasus den Reiz des Parks aus, sondern der dichte Baumbestand, der dem Besucher den Eindruck vermittelt, dass er sich in einem Urwald befindet.

Die verschiedenen Vegetationszonen im Park reichen von der feucht-subtropischen in den niederen Lagen auf etwa 300 m bis zur subalpinen auf fast 2500 m Seehöhe und werden von eiszeitlichen Seen, Schwefelquellen und dichten Laubwäldern geprägt. In der alpinen Zone von 2.500 m  bis fast 3500 m sind Steppen mit alpinen Kräutern vorherrschend. Hier ist die Heimat von Bartgeiern, Gämsen, Steinböcken und Steinadlern, während weiter unten Wanderfalken, Eulen, Wölfe, Luchse und Braunbären durch die Wälder streifen bzw. jagen. Der Lagodechi Nationalpark ist einer der weltweit nur wenigen Hotspots für Biodiversität. denn zahlreiche Pflanzenarten wachsen nur hier und viele Tierarten stehen unter besonderem Schutz.  In Zahlen ist diese Artenvielfalt wahrlich beeindruckend: knapp 1500 verschiedene Pflanzenarten und fast 40 verschiedene Säugetier-, 120 Vogel-, 13 Reptilien-, 4 Amphibien- und 1300 Insektenarten kommen im Park vor.

Eine Halbtageswanderung im Urwald

Wir treffen beim Haupteingang des Parks ein und schnuppern ein wenig in den Urwald hinein. Im Eingangsbereich sind die Wege noch breit und der teilweise mächtige Baumbestand vergleichsweise locker verteilt. Das ändert sich aber schon nach wenigen Gehminuten. Informationstafeln bieten einen groben Überblick, wohin wir in diesem Park wandern könnten.

Für den nächsten Tag ist eine Wanderung zu einem der sehenswerten Wasserfälle im Park geplant, doch sind die Wintermonate im Großen Kaukasus schneereich und die Bäche und Flüsse im Frühjahr stark mit Schmelzwasser angeschwollen. Kommt dann – wie Tage zuvor – noch sintflutartiger Gewitterregen hinzu, reißen die Flüsse alle Übergänge mit sich fort, weshalb die Wege unpassierbar und zu dieser Zeit oft gesperrt sind. So auch diesmal, was uns jetzt eine Nacht Bedenkzeit für Alternativen beschert. Wir verbringen diese und auch die folgende Nacht beim Waldhotel nahe dem Haupteingang zum Park.

Bei georgischem Wein wird der Plan dahingehend geändert, es mit dem Wanderweg zur mittelalterlichen Tamara-Festung (auch Matschi-Festung bzw. Machi-Fortress genannt) zu versuchen. So begeben wir uns am nächsten Morgen ein paar Minuten auf der Straße Richtung Grenze zurück bis zum Ort Matsimi, wo sich ein Nebeneingang zum Park befindet. Der Weg ist beschildert und gut markiert. Gerade ein paar Schritte gegangen, hat uns auch schon der Urwald verschluckt und wir bekommen in einer grünen Idylle bemooste Baumstämme und Steine zu sehen.

Weil wir nahe der georgisch-aserbaidschanischen Grenze unterwegs sind, taucht bald ein georgischer Grenzposten mitten in der Botanik auf, Passkontrolle zwischen den Baumriesen inklusive. Der Wanderweg wird nun wilder uns schmäler, selbst die eine oder andere Bachquerung steht uns bevor – mit und ohne Steg! Es geht schließlich etwas in der Mazimi-Schlucht bergan, so dass wir kurz auch in jenes Tal hinab blicken können, wo der Grenzfluss zwischen den beiden Staaten Georgien und Aserbaidschan sich seinen Weg bahnt.

Dieser Fluss hat auch Zuflüsse und zu einem davon steigen wir gleich darauf steil zu einer (zum Glück) vorhandenen Brücke hinab. Auf der anderen Seite wartet ein noch steilerer Anstieg auf einem sehr abgerutschten, erdigen Pfad, wo wir uns an Äste klammern müssen, um es hinauf zu schaffen. Für den stark fallenden Retourweg gilt das natürlich erst recht. Ist man erst einmal oben, bauen sich die ersten Gemäuer der ehemaligen Tamara-Festung vor einem auf.

Zwischen den Mäuern streifen wir nun umher, dann treten wir den Rückweg an, der – wie bereits angedeutet – derselbe ist, wie jener, auf dem wir zur Festung gelangten. Ein wesentlicher Unterschied ist der Entfall jeglicher weiterer Passkontrollen. Die Vegetation ist bei jetzt verändertem Sonnenstand nicht minder beeindruckend, aber genauso schnell wie uns der Wald zu Beginn verschluckte, gibt er uns Stunden später wieder frei und wir fahren wieder zum Hotel zurück, wo wir bereits am frühen Nachmittag eintreffen. Nach dem dichten Programm in Aserbaidschan ist ein gemütlicher Tag wie dieser wohltuend.

Einige Infos zum Park

1. Tourismus

Viele Georgien-Touristen haben den Lagodechi Nationalpark im bergigen Teil Kachetiens wegen seiner Abgelegenheit im Grenzgebiet zu Aserbaidschan und Russland (Dagestan) noch nicht als Ziel für sich entdeckt, weshalb die Besucherzahlen im Park eher überschaubar sind. Bis zum Jahr 1991 war das Gebiet des heutigen Nationalparks ein Totalreservat, in dem nicht einmal wissenschaftliche Forschung stattfinden durfte. Erst mit der Unabhängigkeit Georgiens wurde es für den Tourismus geöffnet, wobei Autos aber bis heute außen vor bleiben. Um den Nationalpark kennen zu lernen, bleibt daher nur die Möglichkeit, auf Pferden zu reiten (geführte Touren der Nationalparkverwaltung inklusive Übernachtung) oder ihn auf Schusters Rappen zu erwandern.

2. Anreise nach Lagodechi

Wenn man nicht so wie wir von Aserbaidschan her in Georgien einreist und so quasi gleich auf den ersten Kilometern über den Nationalpark stolpert, wird man sich wahrscheinlich von der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) aus auf den Weg machen. Für die ungefähr 160 Kilometer nach Lagodechi sind mit dem Auto in etwa 2,5 Stunden zu veranschlagen. Alternativ dazu fahren regelmäßig Minibusse (Marshrutkas) in gut drei Stunden von Tiflis nach Lagodechi. Die Bushaltestelle in Tiflis befindet sich in der Nähe der Metrostation Isani. In Lagodechi befinden sich auch die Verwaltung des Nationalparks und das Besucherzentrum.

3. Beste Reisezeit für Wanderungen im Lagodechi Nationalpark

Wanderungen und Touren im Nationalpark setzen voraus, dass die Wege schneefrei sind. Für Tageswanderungen ist das von April/Mai bis Oktober/November der Fall. Die mehrtägige Tour zum Black Rock Lake hingegen ist schneebedingt nur in den klassischen Sommermonaten von Juli bis September möglich. Beachten sollte man, dass nach schneereichen Wintermonaten auch die Schneeschmelze im darauf folgenden Frühjahr entsprechend heftiger ausfallen kann. Bäche und Flüsse schwellen in dieser Zeit stark an, können Brücken und Stege wegreißen und zahlreiche Wege somit unpassierbar machen.

Wir selbst waren Ende Mai 2019 mit dieser Situation konfrontiert. Nach starken Regenfällen saugen sich die Moose und Flechten an den Stämmen und Ästen der mächtigen Bäume mit Wasser voll, was in weitere Folge zum Bruch von altem und morschem Holz führt und Wanderer eventuell gefährdet.

4. Eintrittsgebühr für den Lagodechi Nationalpark

Für den Lagodechi Nationalpark wird noch kein Eintrittsgeld verlangt, außer man möchte im Park übernachten, dann wird ein geringer Obolus fällig. Zeltplätze sind dann kostengünstiger als Schutzhütten. Sehr wohl besteht allerdings eine Registrierungspflicht.

5. Übernachtung

5.1. Übernachtung in Lagodechi

Plant man ausschließlich Tagesausflüge im Nationalpark, so ist der Ort Lagodechi als Ausgangspunkt bestens geeignet und man quartiert sich vorteilhafterweise hier ein. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an gastfreundlichen Familien, die eine Unterkunft (Guesthouses) für Besucher anbieten. Dort wird wunderbares, selbstgekochtes Essen serviert und öfter ist auch ein Weinkeller angeschlossen. So liegt zum Beispiel das Guesthouse Gardenia & Wine Cellar dem Haupteingang zum Nationalpark sehr nahe. Auch das Jibghashvilebi’s Guesthouse hat sehr gute Bewertungen und bietet günstigere Zimmer.

Wir waren beim Waldhotel am Haupteingang zum Park stationiert, haben aber zum Essen auch das Guesthouse Lago (ebenso mit angeschlossenem Weinkeller) im Ort ausprobiert. Speisen und der kredenzte Wein aus Kachetien haben sehr gemundet.

5.2. Übernachtung im Lagodechi Nationalpark

Hat man die Absicht zum Black Rock Lake aufzubrechen, wofür mindestens drei Tage zu veranschlagen sind, muss man entweder sein eigenes Zelt mitschleppen oder man übernachtet als Selbstversorger in den unbewirtschafteten Schutzhütten (tourist shelter) im Nationalpark, indem man neben der Verpflegung auch seinen Schlafsack samt Isomatte mitbringt. Beide Möglichkeiten sind, wie bereits erwähnt, kostenpflichtig. Das Zelten ist nur an dafür gekennzeichneten Plätzen gestattet. Ich habe auch davon gelesen, dass in der Wetterstation von Lagodechi auf 2000m Höhe genächtigt werden kann.

6. Wanderungen

Karten und Informationen zu den möglichen Wanderungen sind im Büro der Parkverwaltung beim Haupteingang erhältlich. Es gibt insgesamt vier beschriebene Wanderungen im Lagodechi Nationalpark.

6.1. Tageswanderungen

Die leichteste ist die oben beschriebene knapp dreistündige Wanderung zur mittelalterlichen Tamara-Festung (Machi-Festung), die bis auf das letzte Stück hinauf zur Ruine auch für Kinder geeignet scheint.  Bei mehrtägigem Aufenthalt im Park eignet sie sich durchaus als Tour zum Warmlaufen.  Der Wanderweg zur Machi Festung startet einige Kilometer nach Lagodechi im kleinen Dorf Matsimi. Die Strecke verläuft durch eine Schlucht entlang des Bneli Kheoba Flusses zur Aserbaidschanischen Grenze hin (Reisepass mitnehmen!) und endet an den Ruinen einer verfallenen Festung aus dem Mittelalter. Zu dieser Wanderung gibt es auch Fotos von mir.

Technisch etwas anspruchsvoller sind die beiden Tageswanderungen zum Black Grouse Wasserfall und dem Ninoskhevi-Wasserfall. Hier braucht man nicht unbedingt die beste Kondition, muss aber bei den Wanderungen durch das Flussbett immer wieder Hindernisse wie große Steine, umgefallen Baumstämme und so einiges anderes überwinden. Brücken werden im Lagodechi Nationalpark, nachdem die Flüsse im Frühjahr vom Schmelzwasser anschwellen, fast jedes Jahr weggespült. Da muss jeder für sich selbst überlegen, wie er den Fluss überquert.

Zum Black Grouse Wasserfall kann man direkt vom Haupteingang aufbrechen. Hin- und Rückweg sind knapp zehn Kilometer lang und bequem in 3-4 Stunden zu Fuß bewältigbar.

Mit 40 Metern deutlich höher und beeindruckender ist der Ninoskhevi Wasserfall (Great Waterfall), der auf einem etwa vier Kilometer langen Wanderweg entlang des Ninoskhevi Flusses erreichbar ist (etwa 350 Höhenmeter). Der Wasserfall befindet sich in einem Nebental, der Weg dorthin führt durch eine andere Vegetation als bei der Wanderung zum Black Grouse Wasserfall und enthält einige schwierigere Passagen. Um den Ausgangspunkt am Gurgeniani Information Center ein paar Kilometer von Lagodechi entfernt zu erreichen, ist ein Auto oder Taxi erforderlich.

6.2. Mehrtageswanderung

Der Mehrtagestrek zum Black Rock Lake (min. 3 Tage) führt durch den Urwald bis über die Wipfel der Bäume, wo sich dann ein beeindruckendes Panorama öffnet und ist nur für konditionell starke Wanderer zu empfehlen. Alternativ dazu kann man im Sommer Pferde samt Guide mieten. Die Preise für die Touren (Vorausbuchung wird empfohlen!) sind moderat und übernachtet wird in einfachen Hütten. Da man sich hier sehr nahe an der russischen Grenze befindet ist ein Mitführen des Reisepasses nötig. Die Anzahl der Tage kann auch verlängert werden, Infos gibt es im Tal bei den Rangern. Da der Lagodechi Nationalpark noch nicht überlaufen ist, geht es am See wahrscheinlich noch eher ruhig zu.  Wer sich für diese Wanderung interessiert, kann sich auf dieser Seite näher über den Trail informieren.

Besucher, die so wie wir nur eineinhalb Tage in Lagodechi sind, sehen die alpine Region des Parks leider nicht. Sie haben nur die Wahl zwischen den anderen drei Wanderwegen.

Im Rother Wanderführer Georgien (Auflage 2019) werden diese Wanderungen, aber auch solche in anderen Wanderregionen Georgiens, übrigens näher beschrieben.

Das Dorf Lagodechi

Wie bereits erwähnt, ist das Dorf Lagodechi touristisch im Vergleich zum Nationalpark eher uninteressant. Die Gemeinde ist auch für georgische Verhältnisse alles andere als wohlhabend und die Arbeitslosenzahlen sind hoch, was man sofort am Ortsbild merkt.

Ausgenommen davon sind die Hotels und Guesthouses, bei denen nicht nur die Fassaden ansprechender sind als im Rest des Dorfes, sondern auch deren Gärten ein echter Hingucker sein können. Einige der Guesthouses, wie zum Beispiel das Guesthouse Lago, haben einen angeschlossenen Weinkeller. Auf Anfrage kann man sich (zumindest als Gruppe) zum Dinner anmelden, wobei man auch diverse Weine aus Kachetien probieren kann.

Mein Eindruck vom Nationalpark und vom Dorf Lagodechi

Vergleichbare Regionen oder Nationalparks wie jener bei Lagodechi sind mir auf der gesamten restlichen Reise durch den Kaukasus nicht mehr untergekommen.  Hier prägt (zumindest in den tiefer gelegenen Teilen des Parks) nicht das Bergpanorama, sondern der naturbelassene, dichte Urwald mit seinen Flüssen und Wasserfällen das Landschaftsbild.

Es braucht schon einen Aufenthalt von zumindest einer Woche, um alle ausgeschriebenen Wanderungen im Park zu machen und den Wald und seine Baumriesen zu bestaunen. Für die Mehrtageswanderung zum Black Rock Lake ist es Ende Mai aber definitiv noch zu früh.

Wenn ich nicht direkt im Dorf Lagodechi Quartier nehme, würde ich nur zum Essen dort hineingehen oder georgischen Wein verkosten, sonst ist der Ort touristisch eher vernachlässigbar. Aufgrund seiner Lage an der Grenze zu Aserbaidschan bietet sich Lagodechi allerdings als Zwischenstopp auf der Durchreise sowohl in Richtung Aserbaidschan als auch von dort nach Georgien kommend an.

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