Ein Hauch von Weitwandernostalgie ist zu spüren, wenn ich an die bevorstehende Wanderung zum Ingeringsee denke. Hier war ich vor ein paar Jahren bereits einmal. Damals kam ich vom See hierher zur Bergerhube, um meine Begehung des Zentralalpenweges über das Knaudachtörl hinter den beiden Grießsteinen weiter zum Sonntagskogel und nach Hohentauern voranzubringen. Leider muss ich an dieser Stelle gestehen, dass ich dem Endziel in Vorarlberg seit der Unterbrechung im Ort auf der Passhöhe keinen Schritt näher gekommen bin. Das ist jedoch ein ganz anderes Thema und wird in diesem Beitrag deshalb nicht weiter erörtert.
Ich bin auf dem Eisenwurzenweg vom nördlichen Waldviertel bis zu den Karawanken im Süden Kärntens unterwegs und habe eine ruhige Nacht in der Bergerhube im Hintertriebental hinter mir. Angesichts einer herannahenden Wetterfront mache ich mich nach einem leckeren Frühstück rasch für den Aufbruch fertig und verlasse die Hütte kurz nach acht Uhr.
Noch ist von der bevorstehenden Eintrübung nichts zu bemerken, alle Gipfel sind klar zu sehen und ich trachte danach, möglichst rasch durch das Kettentörl vom Triebental ins Ingeringtal zu wechseln, bevor es im Anstieg sehr warm werden könnte. Eine gute Viertelstunde trabe ich deshalb eine Forststraße am Triebenbach entlang, bis ich an einer Wegteilung auf den bereits angesprochenen Zentralalpenweg (02) stoße.
Vom Kettentörl herabführend vollzieht dieser hier eine 180°-Wende zum Knaudachtörl hin. So wird allerdings niemand gehen, sondern dazwischen eine Nacht in der Bergerhube Station machen. Wie bereits erwähnt, lief dieses Programm bei mir vor mehreren Jahren, heute gibt es dafür ein halbes „da capo“: Ich schlage den Zentralalpenweg diesmal in der umgekehrten Richtung zum Kettentörl hinauf ein. Nach einem letzten kurzen Stück über den Forstweg laufe ich bald über einen Wiesenweg am Waldrand entlang und über eine Weide langsam aber sicher auf die linksseitigen Bergflanken zu. Dabei erspähe ich die majestätischen Gipfel rund um den Gamskogel in einem Panorama, wie es im Sommer nicht schöner sein könnte.
Über eine kleine Geländestufe weiche ich einer Schotterhalde aus und befinde mich augenblicklich in einem von hohem Gras bewachsenen Steilhang an den Ausläufern des Kettentalkogels. Hier stand früher einmal wohl ein Wald, der mittlerweile aber größtenteils gerodet wurde. Es beginnt nun der für mich schönste Abschnitt des Wanderweges durch die Niederen Tauern. In mehreren Kehren steige ich bis in den oberen Teil des Hanges, wo ich zu dieser frühen Vormittagsstunde mehr und mehr in den Schatten des Nadelwaldbestandes unterhalb der Kettentalalm gerate. Unmittelbar darauf geht es auch schon nach links in den Wald hinein, zuvor werfe ich noch einen Blick über das Triebental hinweg bis zu den Ennstaler Alpen, wo erste Wolkenbildungen auszumachen sind. Auch die Bergerhube unter mir im Tal ist noch deutlich zu erkennen.
Durch die Wendung des Wanderweges nach links gelange ich in den Eingang zum Kettental, einer breiten und von Latschen bewachsenen ansteigenden Mulde bis zum Kettentörl hinauf. Sobald ich den Wald verlasse und im Krummholzgelände bessere Sicht zum Törl habe, bin ich geneigt, die Entfernung bis dorthin eher größer einzuschätzen.
Hier unterliege ich einer Täuschung, denn schlussendlich geht es dann recht flott, bis ich auf dem Scheitelpunkt ankomme. An dieser Stelle wird ein kurzes Päuschen zwecks Arbeitsbeschaffung für daheim fällig, denn die diesen Moment verewigenden Fotos wollen geschossen werden. Links und rechts von mir gibt es genug zu sehen. Da von wo ich herkomme, liegt das Kettental und auf der anderen Seite des Hintertriebentales könnte ich etwaigen Besteigern des Großen und des Kleinen Grießstein hinüberwinken, dort wohin ich gehe, leuchtet der Ingeringsee in der Sonne und ebendort ist auch die nächste Pause von mir angedacht. Ein paar Kilometer Luftlinie liegen da aber schon noch dazwischen.
Würde ich mich nicht mit dem Eisenwurzenweg allein begnügen wollen, wäre auch noch ein Abstecher auf den Kettentalkogel oder auf den Speikleitenkogel möglich. Nach der Ruhephase beginne ich den langen und kontinuierlichen Abstieg zum Ingeringsee. Dieser führt zunächst durch die Schönleiten in den Latschengürtel und zur Quelle des Ingeringbaches hinab.
Dort stelle ich fest, dass der Weg in den vergangenen Jahren etwas besser hergerichtet worden sein dürfte und an heikleren Stellen vor allem mehr an Breite aufweist. War davor eine Fußbreite oftmals die Norm, so haben meine Schuhsohlen diesmal beim Kontakt mit dem Boden den dreifachen Platz. Der Krummholzbestand reicht bis zu den Weidegründen der Hinteralm, wo er abrupt endet.
Am anderen Ende der Alm muss ich die Markierung genau im Auge behalten, um nicht vom Weg abzukommen. Ohne Abwege lande ich kurze Zeit später auf der vom See heraufziehenden breiten Forstsraße. Ihr folge ich nun eine Zeit lang, bis mich eines der gelben Schilder durch den Wald steil hinab zum Lauf des Ingeringbaches weist.
Der Bach begleitet mich von da an bis zum Ingeringsee, wo ich mir die nächstbeste freie Bank suche, um mich darauf für mindestens eine halbe Stunde auszustrecken. Ich meine, die Entwicklung der Wetterlage gibt dies her.
Insgesamt macht der Eisenwurzenweg eine halbe Runde um den See und wendet sich danach am Parkplatz vorbei sowie dessen Zufahrtsstraße folgend zur Ochsenwaldhütte hinab – eine durch den Ausflugsverkehr staubige Angelegenheit. Bis zum heutigen Ziel in Ingering II laufe ich nur noch diese eine Straße durch den Ingeringgraben entlang und das meist leicht, aber stetig bergab. Aus den an mir vorbeifahrenden Fahrzeugen vermute ich durchwegs mitleidige Blicke, welche auf mich gerichtet sind. Zehn Kilometer auf der Straße sind unter diesen Umständen für Weitwanderer eine einigermaßen schwere Kost. Ein paar einsame Hütten am Straßenrand und heiße Fußsohlen sind die einzige Ausbeute in den nächsten zweieinhalb Stunden.
Immerhin gibt es vermehrt Schatten wegen der zunehmenden Bewölkung. Das Schloss Wasserberg in Ingering II gibt mir nochmals Gelegenheit für ein Foto, vorerst ist aber der Gasthof „Gaalerhof“ für das leibliche Wohl wichtiger. Der Wanderweg führt allerdings nicht direkt daran vorbei sondern er umgeht ihn, so dass ich von der jetzt grünen Skipiste wieder ein Stück absteigen muss.
Nach dem Essen begebe ich mich noch zum Hof „Lerchbacher“ in Schattenberg, einem Ortsteil von Ingering II. Dort beziehe ich für eine Nacht das einzige Zimmer, welches zu dieser Zeit in der gesamten Region zu bekommen war. Die Knappheit bei den Unterkünften dürfte einer Motorsportveranstaltung in Spielberg geschuldet sein. Der Ausflug weg vom Eisenwurzenweg bringt mir jedenfalls eine halbe Stunde extra Fußweg pro Richtung ein.
Beim Hof angekommen bleibt mir nur noch, auf den angekündigten Regen zu warten und der kommt dann auch über Nacht. Das verspricht jedenfalls einiges an Nässe für den Start in den nächsten und gleichzeitig auch letzten Wandertag auf dem Abschnitt durch die Niederen Tauern. Regnen sollte es zwar kaum, Sonne ist jedoch auch keine zu erwarten, so dass es mit dem Abtrocknen wohl etwas länger dauern wird. Es wird auch wieder deutlicher bergauf gehen, schließlich wartet die mir bis dato unbekannte Gaaler Höhe mit der Fohnsdorfer Hütte auf mich. Bei den herrschenden Witterungsbedingungen werde ich mir kaum Hoffnungen machen können, am Ende des morgigen Tages auf der anderen Seite des Murtales einen einladenden Zirbitzkogel zu gewahren.
Wer von euch hat sich schon einmal am Ingeringsee aufgehalten? Ist der See zum Baden geeignet? Auf den Anhöhen westlich des Ingeringgrabens gab es in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit Grundbesitzern, ist eine Alternativroute über die Berge noch möglich? Lasst es mich wissen!