Vom nächtlichen Regen bekomme ich nichts mit. Nach dem Aufstehen darf ich mir sogar kurzzeitig Hoffnungen auf ein paar Sonnenstrahlen machen, doch der Sonne wird den gesamten Tag über der Durchbruch durch die Wolkendecke nicht gelingen. Um sieben Uhr ist das Frühstück vereinbart und dabei bietet sich auch eine letzte Gelegenheit für eine kurze Unterhaltung mit dem Hausherren. Es folgt das bei solchen Gesprächen übliche Fragespiel nach dem Wohin und Woher mit dem Ergebnis, dass kaum jemand, der hier im Hof nächtigt, den Eisenwurzenweg geht. Diese Klientel dürfte also überwiegend im Gaalerhof absteigen, was angesichts des beinahe unmittelbar daran vorbeiführenden Wanderweges auch naheliegend ist.
Beim Aufbruch gegen acht Uhr bekomme ich noch den Tipp mit auf den Weg, nicht zur Straße hinunter zu gehen, sondern einen auf dieser Höhe verbleibenden Feldweg zu benutzen, um wieder nach Ingering II zu gelangen. Das funktioniert bis kurz vor der Skiwiese auch recht gut, dann wäre allerdings ein Graben zu durchqueren und dazwischen befinden sich lauter Absperrungen von Weidegebieten. Ich lande daher doch wieder auf der Straße, wenngleich auch nur für wenige Meter, denn sofort biege ich in die zum Gaalerhof hinaufführende (Schotter-)straße ein. Beim Gasthof ist noch alles ruhig, so dass ich unauffällig den Hang zu ein paar Appartements am Wanderweg hinaufstapfen kann. Den Stempel habe ich mir ohnehin bereits gestern nach dem Essen geholt.
Keine hundert Meter nach der Wiederaufnahme des Weges biegt dieser scharf nach rechts in den Wald hinein, womit ich Ingering II abhaken kann. Durch den Wald hindurch und an dem auf einer freien Fläche stehenden Schindlbacher-Hof vorbei nähere ich mich dem Gehöft Herk, am Ende auch auf einem knackigen Anstieg.
Dreihundert der insgesamt sechshundert Höhenmeter bis zur Gaaler Höhe habe ich damit bereits hinter mir. Ein beinahe ebener Forstweg beschert mir danach eine kurze Verschnaufpause, bevor mich eines der gelben Schilder in einer Linkskehre in die Büsche zu weisen scheint. Doch da führt tatsächlich ein schmaler Pfad hinein, wenn auch gut und mehr als kniehoch von sattem, nassem Grünzeug zugedeckt. Meine Schritte, die ich den verwachsenen Graben bergauf nun setze, sind jenen eines Lippizaners in der Spanischen Hofreitschule nicht unähnlich, aber immerhin komme ich halbwegs trocken aus der Affäre.
Unterhalb des Gaalecks legt der Pfad nochmals an Steigung zu, ist jedoch keineswegs mehr überwuchert, so dass ich zügig den höchsten Punkt des heutigen Tages – nämlich die Gipfelwiese der Gaaler Höhe – erreiche. Die überfällige Rast hebe ich mir für die zehn Minuten vom Gipfel entfernte Fohnsdorferhütte auf, wenngleich ich an einem Dienstag keine Chance auf Einlass dort habe. Trotzdem sind das Hüttenbuch und der Stempel frei zugänglich.
Mir steht von hier an ein längerer Abstieg nach Dietersdorf bevor, der mich zunächst einmal durch dichten Wald in tiefere Regionen führt. Die Erhebung über dessen Kamm ich hinabgehe heißt nicht umsonst Waldkogel und ist ein Ausläufer der Gaaler Höhe. Die nächste Stufe in der Kaskade ist der Schlapfkogel, welchen ich allerdings in dessen westlicher Flanke auf einem breiten Forstweg umgehe.
Der tiefe Einschnitt des Dietersdorfer Grabens erlaubt mir immer wieder den Durchblick ins Murtal, was hingegen die Seetaler Alpen betrifft, komme ich an diesem Tag zu kurz.
Auf dem kurvigen Weg wende ich mich sofort nach dem Vormacherberg links Stoxy’s Mostschänke zu. Die ist zwar geschlossen, dafür führt der Wanderweg aber auf weichen Wiesenwegen daran vorbei.
An den Hängen oberhalb des Murtales wandere ich endlich gen Dietersdorf, der Themenweg beim Hof Hödlmoser wirkt jedoch deutlich länger als auf der Karte eingetragen. Eine kurze Fotopause gibt es auch noch, der Zirbitzkogel auf der anderen Seite der Mur will sich mir heute jedoch nicht zeigen.
Dietersdorf ist ein Ortsteil von Fohnsdorf und wartet mit einer Besonderheit auf: Mitten im Siedlungsgebiet durchquere ich eine Kuhweide! In diesem Augenblick finde ich weder meine Kamera, noch das Telefon. Der Hunger ist wohl stärker. Etwa vier Stunden nach meinem Aufbruch in Ingering II werden mir in einem Fohnsdorfer Gasthof Kärntner Kasnudeln serviert, quasi als kulinarische Einstimmung auf das in wenigen Wochen erhoffte Erreichen der Landesgrenze.
Jetzt, wo ich im Murtal in der Zivilisation bin, habe ich hauptsächlich asphaltierte Wege als Unterlage. Auf solchen begebe ich mich nach der Mittagspause zunächst nach Wasendorf bis kurz vor dem Thermenressort hinüber.
Von dort wende ich mich der Pöls zu, quere diese über einen eingehausten Holzsteg zur Pölswegsiedlung hin und gelange zu einer Kreuzung, deren Beschilderung mir eine längere Folgeetappe verheißt.
Von hier aus sind es noch neun Stunden bis zum Schutzhaus auf dem Zirbitzkogel. Dass es ein paar Wochen später ein wenig anders kommen wird, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Geradeaus sticht der Eisenwurzenweg in ein Industriegebiet hinein und unterquert wenig später leicht nach links versetzt die Schnellstraße. Ein Fuß-/Radweg bringt mich auf deren anderer Seite nach Judenburg, dem heutigen Tagesziel hinab.
Gleich nach der Eisenbahnbrücke ginge es nach rechts zum Bahnhof. Ich habe allerdings noch Zeit und sehe mich deshalb noch ein wenig um. Bei der Murbrücke verbleibe ich in der Vorstadt, genauso wie es der Wanderweg macht.
Ich finde sogar ein noch geöffnetes Wirtshaus, in dem ich einen Stempel ergattere. Damit habe ich bei der Fortsetzung des Weges in Richtung Kärnten keinerlei Stress mehr deswegen und kann mich nach dem Kaffee entspannt zum Bahnhof aufmachen. Wie bereits angedeutet, ist die Wanderung auf den Zirbitzkogel – mit 2396m der höchste Punkt auf dem gesamten Eisenwurzenweg – samt Anreise an einem Tag eine kleine Herausforderung. Für die nun anstehende Höhenwanderung bis in den Raum Völkermarkt braucht es zumindest für vier aufeinander folgende Tage brauchbares Wanderwetter. Den nächsten länger zusammenhängenden Freizeitblock werde ich erst Anfang September haben. Wird sich die Tour durch die Seetaler– bzw. Lavanttaler Alpen noch in diesem Jahr ausgehen?