Schon beim Frühstück am nächsten Morgen steht außer Frage, dass wir den Eisenwurzenweg regulär beenden wollen, denn es ist trocken und auch die Sonne lässt sich zaghaft blicken. Vor Mittag sollte kein Regen zu erwarten sein, weit größer ist jedoch unsere Sorge, dass sich über den Karawanken eventuell auch ein Gewitter bilden könnte. Wir haben deshalb keine Zeit zu verlieren und rufen dem Hüttenwirt schließlich um acht Uhr unseren Abschiedsgruß zu. Vor der Eisenkappler Hütte schweift unser Blick über die Böden der Seealpe bis zu einem nahen Waldstück, in das wir bald eintauchen werden.
Der Plan ist, zunächst bis zur Obiralm abzusteigen und unseren Weg weiter bergab bis nach Ebriach im Tal fortzusetzen. Sollte der Wetterumschwung rascher vonstatten gehen als gedacht, gäbe es hier noch eine letzte Möglichkeit um vorzeitig nach Bad Eisenkappel zu gelangen. Verläuft alles planmäßig, suchen wir danach die Trögerner Klamm auf und durchwandern diese, bevor es wieder hinauf nach Trögern geht. Das Höhenniveau der Eisenkappler Hütte mit über 1500m müssen wir heute nochmals erreichen und zum 1633m hoch gelegenen Sattel mit dem Namen Kepp aufsteigen. Dieser ist die vermutlich letzte Hürde auf diesem Weitwanderweg, denn hinsichtlich des Alternativweges zum Seebergsattel über den Kärntner Storschitz sind wir angesichts der Wetterprognose eher skeptisch.
Wir machen vor der Eisenkappler Hütte noch letzte Fotos, bevor die finale Etappe beginnen kann. Ein paar Minuten haben wir noch Aussicht, dann verlangt uns der glitschige und von verkrüppelten Wurzeln sowie nassen Steinen übersäte Waldweg vollste Konzentration ab.
Nach beinahe dreihundert abgegebenen Höhenmetern ist auch schon die Obiralm erreicht. Hier ist uns kurzzeitig Entspannung vergönnt, weil der Wegzustand wieder mehr den Blick für das Schöne im Alpenland erlaubt, während sich der fotoscheue Mitwanderer vor meinem neugierigen Objektiv im Schilderwald versteckt.
In der Nähe eines Hauses sollten wir von dessen Zufahrtsstraße steil bergab in den Wald wegzweigen, nur ist dummerweise kein Weg im von Windbrüchen gesäumten Unterholz erkennbar. Zwar ist eine provisorische Notmarkierung in Form von orangen Punkten vorhanden, diese reicht allerdings nur bis zum dritten Baum und dann kommt nichts mehr. Wir kehren um, denn es ist weiter unten keine Querung über einen Forstweg auszumachen. Statt dessen benützen wir die oben erwähnte Zufahrtsstraße so lange, bis ein Karrenweg diese wieder in die gewünschte Richtung verlässt. Nach ein wenig Dschungelfeeling haben wir tatsächlich bald wieder die ersten Notmarkierungen und – was noch besser ist – einen ausgetretenen Pfad vor uns. Bald gehen auch die orangen Punkte wieder in die reguläre rot-weiß-rote Markierung über.
Ziemlich steil ist der Hang, den wir nun vorsichtig und aufmerksam absteigen, bis wir bei einem Wendeplatz eintreffen. Hier folgen wir nicht dem Schotterweg, sondern teilweise über umgestürzte Bäume einem Waldpfad, der mit zunehmender Länge immer angenehmer zu gehen ist und einem Bachlauf folgt.
Bei einer Lichtung erreicht der Wanderweg wieder Fahrzeugtauglichkeit und mündet in die Straße nach St. Leonhard ein. Wir folgen ihr durch den Wald, bis wir bei den Häusern der Streusiedlung Ebriach ankommen. Der Eisenwurzenweg wendet sich an der nächsten Kreuzung, wo auch der um diese Stunde noch geschlossene GH Kovac zu finden ist, nach rechts etwa einen Kilometer weiter zum ebenfalls – aber dauerhaft – geschlossenen GH Radlwirt (Srienz).
Dort teilt sich die Straße und wir begeben uns nach links in die Trögerner Klamm hinein. Einen separaten Wanderpfad sucht man hier vergeblich, man muss die gesamte Klamm auf der Asphaltstraße durchwandern. Nennenswerten Verkehr gibt es an diesem Montagvormittag allerdings keinen. Für eine gute halbe Stunde begleiten uns nun der wild rauschende Trögernbach, bizarre Felsformationen und die dazu passenden Schautafeln. Weil die Straße keine nennenswerte Steigung aufweist, kann man die Klamm auch mit einem Kinderwagen oder als Rollstuhlfahrer „bewandern“.
Am Ausgang der Klamm gäbe es wieder eine Labstation, doch auch diese ist (noch) geschlossen. Wir sind wohl zu früh dran, aber immerhin sind frei zugängliche Tische und Stühle aufgestellt und diese Chance lassen wir uns nicht entgehen, vor allem, weil der kurz danach am Weg liegende und früher etappenteilende GH Franzl seinen Betrieb längst eingestellt hat .
Die Stärkung tut uns gut und sie kommt auch zum richtigen Zeitpunkt, denn es gilt ungefähr 600 Höhenmeter bis zum Kepp aufzusteigen. Schon bald nach unserem Aufbruch führt ein steiler Pfad bergan in den Wald . So kommen wir wenigstens noch einmal in den Genuss einer Aussicht zum Hochobir hin. Noch ist dieser nicht eingenebelt und das gibt Hoffnung, dass sich der Regen noch etwas Zeit lässt.
Durch diesen Forst gelangen wir zur Kirche und ein paar Häusern von Trögern, welche wir am oberen Ende einer steilen Wiese beim Austritt aus dem Wald erstmals sehen können.
Mitten hindurch führt uns der Eisenwurzenweg zu einem weiteren Wald hin, wo uns die Markierung neuerlich abhanden kommt. Am Ende stehen wir auf einem Forstweg, wo wir zwischen links oder rechts entscheiden können und uns auch die wie ein Leuchtturm in der Landschaft stehende Koschuta nicht weiterhilft. Es bleibt uns in dieser Situation nichts anderes übrig, als die Karte zu Rate zu ziehen und so vergehen zwanzig bis dreißig kostbare Minuten, bis wir zu einer Lösung kommen, während sich hinter uns ohne größere Verzögerung das Regenwetter zusammenbraut.
Wir bleiben auf dem rechten Weg und übersehen auch den schmalen Pfad auf eine Böschung aufwärts nicht, um zügig zum Kepp voranzukommen. Irgendwann während des Aufstiegs ist es dann soweit und die Regenausrüstung kommt zum Einsatz. Die darauf einprasselnden Regentropfen lassen den weiteren Aufstieg über eine durch frühere Waldrodung frei liegende Schneise und später entlang von Weidezäunen etwas monoton wirken und weiter oben kommt auch Nebel noch hinzu.
Die Route über den Kärntner Storschitz hat sich damit endgültig erledigt. Ganz so einfach will es uns der Kepp aber auch nicht machen bzw. machen es uns selbst schwer. Wir stoßen auf eine breitere, unmarkiert wirkende Forststraße. Ich meine aber, im Wald schwache Markierungen wahrzunehmen, nur fehlt eben der zugehörige Weg. Wie sich herausstellt, hätten wir die Forststraße ebenso nehmen können – quasi als schnelle und wohl auch offizielle Verbindung hinauf zum Sattel, den wir nach ein paar mühevollen Metern im Wald aber auch so erreichen.
Der Regen legt hier oben eine kurze Pause ein, uns hingegen ist eher weniger danach. Wir wollen nur möglichst rasch auf die andere Seite zum Pasterksattel absteigen. Ein langer abstreichender Kamm bringt uns dorthin.
Vom Pasterksattel schlagen wir den rechtwinkelig nach rechts wegführenden Karrenweg ein, welcher zunächst eben verläuft und hie und da auch den Blick ins Vellachtal freigibt.
Der nun wieder einsetzende Regen veranlasst uns, unter dem Vordach einer Jagdhütte noch einmal zu pausieren, obwohl das Ziel sehr nahe ist. Bei der Hütte kommt auch der Weg vom Kärntner Storschitz herunter.
Der letzte Kilometer des Eisenwurzenweges ist äußerst nass, so dass ich den Blick nur noch gerade voraus auf den Boden richte. Darum fällt mir das blaue Schild mit den gelben Sternen erst spät auf. Wir sind beim Seebergsattel und hiermit an der Grenze zu Slowenien angekommen! Mit ein paar mehr schlechten als rechten Finisherfotos findet unsere Wanderung vom nördlichsten zum südlichsten Punkt Österreichs hier mit einer Wasser- statt mit einer Champagnerdusche ihr Ende.
Das Zollhaus ist verlassen und auch der Grenzverkehr dürfte keine Rekorde mehr sprengen, oder liegt es nur am miserablen Wetter? Im nahen Seebergstüberl brennt Licht und wir begeben uns zum Trocknen sogleich dorthin. In der Gastwirtschaft teilt man uns mit, dass am Montag eigentlich Ruhetag sei, ein Umstand der auf der Webseite von Bad Eisenkappel im Sommer 2019 jedoch nur unzureichend dokumentiert scheint. Wir geben uns als Weitwanderer zu erkennen, weshalb man uns wohl auch nicht vor die Tür setzt. Wir bekommen sogar ein Getränk und Apfelkuchen angeboten und für einen angemessenen Obolus erklären sich die Wirtsleute bereit, uns mit dem Auto die schlappen zwölf Kilometer zum Bus ins Tal hinunter zu chauffieren. Zu Fuß wären das sicher drei feuchte Stunden geworden. Dieser Service ermöglicht uns noch am selben Tag die Heimreise, nicht aber ohne zuvor noch auf den Erfolg bzw. den Abschluss der Begehung von Weg Nummer 08 anzustoßen.
Meinen ursprünglichen Plan, den Eisenwurzenweg innerhalb eines Jahres vollständig zu begehen, habe ich leider knapp nicht umsetzen können. Zwölfeinhalb Monate sind es seit meinem Aufbruch in Rottal im nördlichsten Waldviertel geworden, aber das macht mir wenig aus. Immerhin konnte ich noch im Jahr 2019 die Grenze zu unserem südlichen Nachbarn erreichen und habe damit im nächsten Jahr den Kopf für ein anderes Weitwanderprojekt frei. Dass ich mich zusätzlich mit einem völlig anderen Thema werde herumschlagen müssen, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es hat letztendlich gravierende Auswirkungen auf meine Weitwanderpläne.
Anmerkung: Mehr Fotos zu dieser Etappe findet ihr auch bei meinem Mitwanderer.