Via Jacobi: „Weg der Romandie“ (Teil 4) – Genf, ein Schauplatz der Reformation an der Rhône

In der Nacht beruhigt sich das Wetter weiter, so dass von dieser Seite keine Störung kommt und auch so schlafe ich in meinem preislich nicht ganz wohlfeilen Bett ausgezeichnet. Frühstück gibt es zur von mir gewünschten Zeit und nach der Abrechnung meines Aufenthaltes schnüre ich ein letztes Mal auf meiner Pilgerwanderung durch die Schweiz meine Wanderschuhe, bevor ich die Unterkunft  in Versoix verlasse und zum Bahnhof zurückgehe. Gewandert wird heute nicht lange, lediglich durch eine Handvoll Genfer Vororte hindurch werde ich mich der Kantonshauptstadt annähern.

Kaum nehme ich den Pilgerweg wieder auf, quere ich bereits nach wenigen Schritten den Fluss La Versoix und gelange meine Gehrichtung im wesentlichen beibehaltend über Fußwege und Straßen in den Ort Genthod. Den Häusern, welche ich hier passiere, fehlt es nicht an Eleganz und Pracht, es wohnen also vermutlich überdurchschnittlich Vermögende in dieser Gemeinde. Selbst das Gemeindeamt ist mit auffälligen, bunten Fensterläden verziert. Mittlerweile denke ich, dass sich in jeder Ortschaft hier irgendwo ein Schloss in einem Park versteckt. So auch in Genthod und es ist nicht das letzte auf dem Weg nach Genf.

Kaum lasse ich Genthod hinter mir und folge einer von einem Wäldchen abgeschatteten Linkskurve, öffnet sich das Land vor mir und ich sehe vom oberen Rand eines Rebhanges aus wieder den nahen Genfersee und erstmals auch das Wahrzeichen der Stadt Genf – die Wasserfontäne „Jet d’Eau“.

Das berührt mich so sehr, dass ich vergesse hier nach rechts einzubiegen, statt dessen laufe ich weiter die Straße hinab bis zu den Bahngleisen. Ist aber nicht weiter tragisch, denn schon kurze Zeit später stößt der Jakobsweg bei einer Privatuniversität von rechts kommend wieder zu mir. Der Pilgerweg wird nun vorübergehend zum „Bahnwanderweg“, also begebe ich mich auf einem geschotterten Fußweg direkt neben dem Gleiskörper der Schweizer Staatsbahn Richtung Chambésy. Das dauert seine Zeit und ich werde dabei von einigen Zügen überholt. Als ich den Abschnitt an der Bahn entlang endlich abhaken kann, gewinne ich sofort wieder leicht an Höhe, indem ich auf einer Straße in die Gemeinde Pregny hinauf gehe. Wieder komme ich an ein schlossähnliches Bauwerk in einem weitläufigen Park heran. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befinden sich das Gemeindeamt von Pregny und die Kirche Sainte-Pètronille. Dem Gemeindeamt statte ich zwecks Stempelung einen Besuch ab. Dort macht man mich auf eine Jakobsmuschel auf dem Dach aufmerksam. Habe ich so auch noch nicht gesehen.

Ich verlasse Pregny, indem ich an der Straße weiter entlanglaufe, bis sich links von mir ein gewaltiger Schlosspark ausdehnt. Er gehört zum Schloss Penthes, welches heute ein historisches Museum beherbergt. Laut Beschilderung sollte ich kurz danach zum See hinunter abbiegen, was jedoch von einer Baustelle verhindert wird. Die Umleitung ist in jedem Fall schöner und angenehmer zu gehen, sie führt nämlich durch den Schlosspark hindurch. So oder so findet dieser Abschnitt an der stark befahrenen und mehrspurigen Kantonsstraße sein Ende. Auf dem nun folgenden Kilometer inhaliere ich nur Abgase und werde mit Straßenlärm zugedröhnt. Fast bin ich geneigt in Anlehnung an eine Reality-Show zu denken, dass ich ein Pilger bin und man mich hier raus holen möge. Doch auch diese „schwere“ Prüfung bestehe ich bravourös und übersehe keineswegs die Beschilderung beim Restaurant La Perle Du Lac, welche mich zum bedeutend ruhigeren Seeuferweg leitet. Ich bin nun endgültig in Genf angekommen und mache weitere Fotos von der Wasserfontäne Jet d’Eau.

Bis zur ersten Brücke über die Rhône im Stadtzentrum Pont Du Mont Blanc sind es anderthalb Kilometer in unmittelbarer Ufernähe. Links von mir schaukeln kleine Boote leicht vor sich hin, während sich rechts von mir das Stadtleben abspielt. Ich komme am Denkmal der Kaiserin Sisi vorbei und kurze Zeit später am Hotel Beau Rivage, in welchem ihr Leben ein abruptes Ende fand. Immer deutlicher heben sich auch die Konturen meines eigentlichen Zieles der Reise ab. Es sind jene der leicht erhöht in der Genfer Altstadt thronenden Kathedrale Saint-Pierre.

Zuvor mache ich noch den Umweg über den Bahnhof Cornavin zur Kathedrale Notre-Dame, der katholischen Hauptkirche in der Stadt. Auch auf diesem Stück des Weges finde ich Sehenswertes, wie zum Beispiel die Rhôneinsel Île Jean-Jacques-Rousseau und die Holy Trinity Church. Im Bahnhof lasse ich mir, wie bereits angedeutet, meine Heimfahrt organisieren und suche anschließend die gleich daneben errichtete Basilika Notre-Dame auf. Von der bin ich schwer beeindruckt, so dass ich einige Zeit in deren Innerem verweile und kühler ist es dort auch.

Es ist bereits kurz nach Mittag, als ich die Basilika wieder verlasse und zur Rhône zurückkehre. Über die Pont de la Tour-de-l’Île setze ich den Weg zum Place de Bel-Air fort. Wieder habe ich dabei linker Hand die Rhôneinsel Jean-Jacques-Rousseau. Rechts von mir kann ich den Tour de l’Île – ein Rest einer Burganlage aus dem 13. Jahrhundert –  bestaunen. Bis zum 19. Jahrhundert soll diese Brücke die einzige im Stadtgebiet über die Rhône gewesen sein.

Ein Ziel habe ich jetzt noch, nämlich die Kathedrale Saint-Pierre in der Altstadt. Nach einem Straßenstück mit kurz nacheinander wechselndem Straßennamen gelange ich zur steil aufwärts führenden, relativ schmalen Grande Rue. Hier lasse ich mich von einem Bistro wegen der ausgeschilderten günstigen Menüpreise zur Einkehr verführen. Das Sitzen in der schattigen Gasse ist wohltuend, die Bedienung freundlich und das alles mit dem mehr als ausreichenden Menü und einem Getränk zusammen für nicht einmal 20 CHF. Leider ist mir der Name des Lokals nicht mehr in Erinnerung.

Der Weg zur Kathedrale leitet mich am Genfer Rathaus sowie am Alten Arsenal, welches jetzt als Staatsarchiv genutzt wird, ebenso vorbei, wie kurz darauf an der ‚Maison Tavel‘ – dem ältesten noch erhaltenen Gebäude der Stadt.

Dann nochmals rechts ums Eck und ich stehe vor der wuchtigen und imposanten Kathedrale, die aus dem 12. Jahrhundert stammt bzw. mit deren Errichtung zu dieser Zeit begonnen wurde. Rein äußerlich sieht sie wie ein Sammelsurium verschiedenster Baustile aus.

So wurde mit dem Bau der dreischiffigen Kathedrale um 1160 begonnen, die gotische Makkabäerkapelle kam dann Mitte des 15. Jahrhunderts dazu. An der Westfront fügte man 1752 einen neoklassischen Säulengang hinzu und der grüne Kirchturm überragt das alles seit dem 19. Jahrhundert.

Aber auch im Inneren ist die Kathedrale sehenswert, wenngleich ich mir nicht ausreichend Zeit nehme, sie komplett zu besichtigen. Nicht nur der Skulpturenschmuck verdient Aufmerksamkeit, sondern auch das Calvin Auditorium – eine schlichte gotische Kapelle neben der Kathedrale. Calvin, der Begründer der reformierten Kirche, verbreitete hier seine theologischen Lehren. Selbst heute werden in der Kapelle noch protestantische Gottesdienste abgehalten.

Hier bei der Kathedrale endet die Via Jacobi und meine Reise (voerst). Ein paar Schritte gehe ich noch – nun auf der Via Gebennensis – weiter bis zu jenem Stiegenabgang bei der Place du Bourg-de-Four, der mich in die Richtung zu Genfs Stadtrand weist. Nach einer Runde um die Kathedrale herum begebe ich mich wieder auf den Rückweg in das Stadtzentrum, welcher mich ein weiteres Mal und diesmal bergab durch die Grande Rue schlendern lässt. In der verbleibenden Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges möchte ich das UN-Hauptquartier aufsuchen, wobei ich mir anfangs recht schwer tue, überhaupt die richtige Richtung zu finden. So lande ich – nun wieder am See – im Englischen Garten oder „jardin anglais“, wie man hier sagt. Eine Blumenuhr mahnt, dass ich mich bei der Suche nach den Vereinten Nationen nicht zu sehr verzetteln sollte, während auf dem See der „Jet d’Eau“ seine gewohnte Leistung bringt.

Das alles ist schön und gut, aber die falsche Richtung, wie mir nun klar wird. Ich muss zum Bahnhof Cornavin zurück und dort eine gute halbe Stunde lang einer Tramwaylinie folgen. Der architektonische Baustil ändert sich allmählich zum Modernen hin und fast jeder, der mir begegnet, trägt eine ID-Karte der UNO. Wer sie nicht trägt ist wohl Tourist. Ein komplettes Stadtviertel hat man den Vereinten Nationen gewidmet. Deren Headquarter befindet sich genau an der Endstelle der mir wegweisenden Tramwaylinie. Es ist unverkennbar mit dessen Beflaggung durch sämtliche Mitgliedsstaaten und noch etwas gehört dazu, nämlich die asiatischen Besucher, die sich im Rotationsmodus in allen Varianten ablichten.

Das war’s dann. Der Weg vom Bahnhof hierher hat mir nicht gefallen, darum nehme ich für den Rückweg die Straßenbahn. Die Wartezeit auf meinen Zug nach Zürich verkürze ich mir mit einem Kaffee und dem Einkauf von etwas Proviant für den Abend im Zug. Es läuft alles glatt und ohne Verspätung, weshalb auch der Anschluss in Zürich nie gefährdet ist. Mit der Reservierung im Sitzwagen des ÖBB-Nightjet habe ich Glück, weil nur zwei weitere Mitreisende mein Sechserabteil belegen. Aus allen anderen Abteilen vernehme ich beim Einsteigen lautstarkes Gesudere, diese dürften also komplett besetzt durch die Nacht fahren. Am nächsten Morgen komme ich trotzdem einigermaßen zerknittert in Wien an.

Mit diesem Beitrag endet meine Berichtsserie über meine Pilgerschaft auf der Via Jacobi durch die Schweiz. Heuer im Herbst hätte es in Frankreich weitergehen sollen. Hätte – wäre da nicht vor Monaten ein neuartiges Virus in Erscheinung getreten, so dass alle Pläne über den Haufen geworfen wurden. Es macht für mich keinen Sinn, in so einer Situation durch ein fremdes Land zu pilgern, dessen Verordnungen ich nur eingeschränkt verstehe (so ich davon überhaupt rechtzeitig Kenntnis erlange) und deren Übertretung mich pro Fall 130-150 EUR Bußgeld kosten könnte. Dazu kommt das wohl ausgedünnte Angebot in den Herbergen und im Fall einer – so wie derzeit – wieder ansteigenden Infektionskurve das Risiko eines (eventuell auch regionalen) Lockdowns.

So schmerzlich das für mich auch ist, an einer Verschiebung dieses Projekts führt kein Weg vorbei. Ursprünglich schien als vorläufiges Ziel Cahors erreichbar, was nun auch von beruflicher Seite durchkreuzt wird. Der neuen Lage entsprechend wäre Weg-Zeit-technisch nur die Via Gebennensis gesichert. Dahinter wird es mit Anschlüssen an den öffentlichen Verkehr schwierig.

Doch auch für 2021 zeichnet sich urlaubsmäßig noch keine Entspannung ab. Es könnte sein, dass ich 25 Prozent meines Jahresurlaubs im ersten Quartal verbrauchen muss. Diese Zeit ist für den Camino in Frankreich eher weniger interessant. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass ich mich mittelfristig wieder auf den Weg machen kann, um eines Tages an der Atlantikküste den Sonnenuntergang zu beobachten.

Wer von euch hat für heuer noch eine Pilgerreise geplant? Werdet ihr sie durchziehen oder spielt ihr mit dem Gedanken, sie aufzuschieben? Welche Argumente führt ihr für eure Entscheidung an? Lasst es mich wissen!

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