Im Holzschlager „Ereignishaus“ passiert gar nichts, denn ich bin der einzige Nächtigungsgast. Mit einem bequemen Bett und einer Dusche habe ich alles, was ich brauche und auf die Annehmlichkeiten aus dem Kühlschrank verzichte ich wegen der Völlerei vom Vorabend freiwillig. Ein Gefühl der Einsamkeit beschleicht mich zeitweise in den Abend- bzw. Morgenstunden, zur vereinbarten Frühstückszeit taucht dann aber der Wirt wie aus dem Nichts plötzlich auf. Im Handumdrehen ist meine Morgenmahlzeit zubereitet und in meinem Magen verschwunden.
Tag der Tour: 12.08.2018;
Strecke: Holzschlag – Zwieselberg-Hütte – Dreisesselberg – Hochstein (- Schwarzenberg);
Länge: 11,8 km; Aufstieg: 580 hm; Abstieg: 180 hm; (Angaben nur bis zum Hochstein)
Nach dem Frühstück packe ich den Rucksack fertig und trete vor das Haus, wo mich ein kühler Hauch des herannahenden Herbstes empfängt. Sonst passt aber alles und bei blitzblauem Himmel marschiere ich los.

Zunächst bin ich auf einem längeren Forststraßenstück unterwegs, welches das höher liegende Skigebiet am Hochficht umgeht und an einer markanten Wegkreuzung beim alten Zollhaus (für mich) endet. Dieses Stück Weg, das gleichzeitig auch ein Radweg ist, kann flott begangen werden und auf diese Weise wird mir auch schnell warm. Beim Nachlesen im Wanderbuch wird mir auch der Grund dafür klar: Ich habe beinahe unbemerkt hundert Höhenmeter gewonnen! Bei der Anzahl an Hütten, Unterständen und Informationstafeln an der Grenze habe ich die Qual der Wahl für ein Fotomotiv. Ich entscheide mich für das Zollhaus auf der österreichischen Seite, da dieses vom frühen Tageslicht am besten ausgeleuchtet wird.

Nach ein paar Minuten des Verweilens bin ich wieder dahin. Es beginnt nun der Wiederaufstieg auf den Kamm, den ich beim Hochficht ja verlassen habe. Der Aufstiegsweg beschert mir einiges an auf zwei Rädern rollendem Gegenverkehr, es sind Mountainbiker, die sich den Spaß des Bergabglühens nicht entgehen lassen wollen.

Noch stehen die Bäume ringsum im Saft, doch weiter oben bekommt der Waldbestand immer größere Lücken und gibt den Blick auf den Plöckenstein frei. Dort befindet sich kein einziger lebender Baum mehr, nur mehr Holzgerippe. Der Übergang ist nicht fließend, sondern kommt schlagartig. Die Borkenkäfer haben hier ganze Arbeit geleistet und diverse Stürme erledigten den Rest.

Ich hoffe, von der vielberadelten Schotterstraße bald auf einen Pfad zu kommen. Bei der als Notunterstand fungierenden Zwieselhütte ist es dann soweit, jedoch übertreibt es der Pfad diesmal. Hüfthohe Wildblumen samt Unkraut lassen sämtliche anfangs noch ersichtlichen Wegspuren verschwinden und nach zwei Markierungen ist auch mit diesen Schluss. Ich kapituliere und kehre nach nicht einmal hundert Metern um und zur Zwieselhütte zurück.

Plan B ist nun, auf der parallel verlaufenden Forststraße ein Stück weiterzulaufen, um bei nächster Gelegenheit auf den Nordwaldkammweg zurück zu finden. Bald zweigt ein Feldweg nach rechts in Richtung Plöckenstein ab und siehe da: kaum zwanzig Meter weiter weist ein gelbes Schild in die Botanik hinein. Dieses Schild veranlasst mich zu einem zweiten Versuch. Aus Zeitgründen ist der Plöckenstein für mich heute ohnehin kein Thema mehr.
Diesmal ist der Pfad, welcher früher angeblich der „Salzsteig“ gewesen sein soll, nicht in einem ganz so schlimmen Zustand wie zuvor und ich schaffe es, Weg und Markierungen nicht aus den Augen zu verlieren. Diese Aufgabe ist auch nicht wirklich einfach, was ich daran merke, dass ich mich beim Übersteigen eines der toten Bäume unfreiwillig an einen Strauch anlehne und so mit dem rechten Arm Bodenkontakt bekomme. Ich treffe etwas später auf einen wilden Wiesenweg, auf dessen gegenüber liegender Seite es mit dem Nordwaldkammweg nicht mehr weiter geht. Nach einer zeitraubenden Herumsucherei stoße ich auf jene Wegteilung beim bayerisch-österreichischen Grenzübergang über den Gegenbach, an der ich beim Abstieg nach Schwarzenberg wieder vorbeikommen muss. Jetzt geht es endgültig auf dem „Seesteig“ in Richtung Dreiländereck hinauf. Ganz hinauf komme ich aber nicht, weil der „Seesteig“ zuvor in den unterhalb der Kammhöhe zum Dreisesselberg querenden „Adalbert-Stifter-Weg“ einmündet. Zahlreiche abgestorbene Fichten links und rechts vom Weg begleiten meinen Aufstieg über Steinplatten. Über mangelnde Aussicht kann ich dabei allerdings nicht klagen.

Bei der Landschaft im Bild unten tippe ich auf überwiegend bayerisches Terrain – nur die hügelige untere Bildhälfte mit Schwarzenberg am Böhmerwald auf der rechten Seite gehört zum Mühlviertel.

Die Szenerie auf den von mir geschätzten obersten hundert Metern des Kammes wirkt gespenstisch und bedrückend. Wird das die Zukunft unserer Wälder nach dem Klimawandel mit erfolgter Erderwärmung sein? Das Problem soll sich ja auch weiter im Norden auf die Gebiete des Permafrostbodens ausweiten. Das Verschwinden der borealen Wälder in Sibirien, Nordeuropa, Kanada und Alaska würde mehr Treibhausgase freisetzen als das Abholzen des Tropischen Regenwaldes.

Wer jetzt denkt, dass ich nach einer kurzen Hangtraverse rasch beim Dreisessel-Schutzhaus eintreffen würde, liegt falsch. Bei den vielen Steinplatten muss ich meine Schritte genau setzen, um nicht ins Stolpern zu geraten, was mich einigermaßen entschleunigt. Für ein kurzes Stück durchquere ich das sogenannte „Steinerne Meer“ – die wesentlich kleinere Ausgabe der Steinwüste hinter dem Hochkönig an der salzburgisch-bayerischen Grenze.

Nach einer Rechtskrümmung des Weges erblicke ich das Dreisessel-Schutzhaus auf der Anhöhe gegenüber vor mir. Dorthin führt auch eine Fahrstraße, also ist mit regem Besucherandrang zu rechnen.

Auf dieser Straße gehe ich noch zwei steile Kurven, dann stehe ich am Platz vor der Schutzhütte. Mit ein wenig Kraxelei auf und zwischen den Granitblöcken komme ich auch zu interessanten Aussichtspunkten.

Zunächst riskiere ich einen Blick zum Plöckenstein hinüber und sinniere dabei, ob und bei welcher Gelegenheit ich diesen einmal besteigen könnte. Ein möglicher Ansatz dazu wäre eine andere Variante des Nordwaldkammweges oder der Böhmerwaldrundweg.

Es folgt die Labung in der Schutzhütte. Weil es bereits später Mittag ist, bekomme ich problemlos einen Platz. Das an einem Sonntagmittag gestresste Personal wirkt überraschend freundlich.

Vom klassischen Nordwaldkammweg bleibt jetzt nur noch ein Rest von einem halben Kilometer bis zum Hochsteingipfel. Auf dem Weg dorthin sind einige Ansammlungen von Granitblock-Formationen zu sehen.

Der Gipfelaufbau des Hochstein besteht selbst auch aus Granit mit darüber thronendem Gipfelkreuz.

Bevor man den Hochstein erklimmt, wandert man noch an der Nepomuk Neumann-Kapelle vorbei.

Über einen Holzsteg mache ich noch die letzten offiziellen Höhenmeter des Weges. Die 360°-Aussicht ist atemberaubend und ich beginne mit einem Blick über den Böhmerwald. Da sollte auch der Goldsteig, dem ich von der Grenze am Gegenbach bis zum Dreisesselberg hinauf gefolgt bin, irgendwo zwischen Böhmerwald und Bayerischem Wald grenznahe hindurchführen.

Beim Gipfelkreuz kann man sich gemütlich niederlassen und auch sitzend die Aussicht genießen. Lug ins Land bis zum Abwinken also.

Gedanklich bin ich zu diesem Zeitpunkt jedoch schon beim Rückweg nach Schwarzenberg am Böhmerwald hinunter. Die ersten Kilometer geht es auf demselben Weg, auf dem ich hierher gekommen bin, auch wieder zurück bis zur oben angesprochenen Wegteilung beim Übergang vom Seesteig in den historischen „Salzsteig“. Sehr schön ist im Bild der Rückweg zum Dreisessel-Schutzhaus erkennbar.

Der Böhmerwald soll aber nicht weniger beachtet werden. Im folgenden Bild werfe ich einen Blick auf die tschechische Seite und sehe ausgedehnte Waldgebiete soweit das Auge reicht.

Nun ist für mich der Zeitpunkt gekommen, um vom klassischen Nordwaldkammweg Abschied zu nehmen. Ich habe dessen westlichen Terminus mit dem im Bild unten abgebildeten Stein erreicht. Der Weg nach Oberschwarzenberg hinunter ist zwar auch markiert, es handelt sich jedoch nur um einen Zustiegsweg.

Schweren Herzens verlasse ich den Gipfelaufbau des Hochstein. Das Schutzhaus auf dem Dreisesselberg lasse ich jetzt auch rechts liegen und begehe einen mir nun bekannten Wegabschnitt bis zum Gegenbach hinunter. Jetzt, wo ich in die andere Richtung blicke, sehe ich auch mehr vom oberen Mühlviertel als zuvor.

Teilweise steil am Gegenbach entlang gelange ich bis zu einem bereits zu Oberschwarzenberg gehörigen Parkplatz, wo ich auf die Straße wechseln muss. Im Ort selbst genehmige ich mir im Gasthof „Dreiländereck“ noch einen schnellen Kaffee. In Erinnerung geblieben sind mir dabei die zahlreichen Pendeluhren in der Gaststube. Für den Wirt ist ein Ende der alljährlichen Zeitumstellung wohl ein Segen. Nach meiner Einkehr gebe ich noch weitere Höhenmeter bis nach Schwarzenberg am Böhmerwald hinunter ab.

Über Straßen (im Wanderführer wird für den weiteren Abstieg der Witiko-Steig vorgeschlagen) komme ich etwa eine halbe Stunde vor der Abfahrt des einzigen Busses am Sonntagnachmittag im Ort an. In diesem Moment bin ich einfach nur zufrieden, wieder einen Weitwanderweg vollständig begangen zu haben und glücklich darüber, dass bis auf eine Ausnahme am Tag vier dabei stets die Sonne lachte. War mir das Waldviertel von früheren Wanderungen bereits bekannt, so bin ich vom Mühlviertel – für mich völliges Neuland – schwer beeindruckt. Insbesondere der für diese Region typische Baustil, den man nur hier findet, hat es mir angetan. Da sehe ich schon einmal über die toten Fichten am letzten Tag hinweg. Die Gegend um den Plöckenstein wirkt im Winter, wenn ausreichend Schnee liegt, übrigens äußerst bizarr. Davon konnte ich mich jüngst erst im Instagramkanal bzw. der Facebook-Präsenz eines Blogs überzeugen.
Während ich also auf den Bus nach Linz warte, denke ich über zukünftige Projekte in dieser Region nach. In den Sinn kommen mir dabei: andere Varianten des Nordwaldkammweges, der Böhmerwaldrundweg, der Johannesweg (obwohl ich diesen nicht einmal streifte), der Goldsteig, der Salzsteigweg, der Rupertiweg,… mir wird nicht langweilig!
Wer von euch ist den klassischen Nordwaldkammweg schon gegangen? Wie hat er euch gefallen?