Der durch die Voralpen führende Innerschweizer Pilgerweg ist 85 km lang und führt mich von Einsiedeln bis zum Brünigpass an der Grenze zum Kanton Bern. Der Weg ist nicht nur von Bergen, sondern auch von zahlreichen Seen geprägt, wovon aus touristischer Sicht an erster Stelle natürlich der Vierwaldstätter See zu nennen ist. Zwei wichtige religiöse Zentren sind für diesen Abschnitt bestimmend. Das wären einerseits das Kloster in Einsiedeln gleich zu Beginn und andererseits die Wirkungsstätte des Schweizer Nationalheiligen Bruder Klaus in Flüeli-Ranft bei Sachseln am Sarner See. Charakteristisch für diesen Wegabschnitt ist das ständige Auf und Ab, wobei auch der eine oder andere Pass zu überwinden ist. Mit dem Etzelpass habe ich ja auf dem Weg von Rapperswil nach Einsiedeln eben erst einen solchen gemeistert.
Die Nacht im Pilgerhotel ist für mich sehr erholsam, was auch nötig ist, steht mir doch mit der Hagenegg heute einiges an steilen Höhenmetern bevor. Sorgen um mein nächstes Quartier brauche ich mir keine mehr zu machen, weil ich mich bereits im Kloster Ingenbohl telefonisch angemeldet habe. Dennoch sollte man die Etappe von der Klosteranlage Maria Einsiedeln nach Brunnen am Vierwaldstätter See, wo auch die Klosteranlage von Ingenbohl liegt, nicht unterschätzen.
Auf der am Vorabend erkundeten Route wandere ich nun bei teilweise bewölktem Himmel aus Einsiedeln heraus und ab der Brücke bei der neugotischen Josefskapelle am Flusslauf der Alp entlang taleinwärts Richtung Alpthal. Das ist für die nächsten zwei Stunden einmal gemütliches Dahinpilgern durch sonnenbeschienene Wiesen und später am Rande schattenspendender Wälder. Bei der Kapelle holt mich ein junger Pilger ein, der im Verlauf des Tages seinen Vater treffen will, um mit ihm gemeinsam in deren Heimatstädtchen Morges am Genfersee zu gehen.
Einsiedeln hinter mir lassend bin ich in kürzester Zeit bei der (kleineren) Klosteranlage von Au. Sie gehört den Benediktinerinnen und erhielt erst 1984 den Rang einer Abtei.
Trachslau und dessen Kieswerk werden auf einer Straße passiert, dann setzt man die Via Jacobi auf der anderen Flussseite fort. Die beiden markanten Berge vor mir nennt man den Großen und den Kleinen Mythen. Wahrgenommen habe ich sie bereits seit dem Laadpass. Sie weisen mir den Weg zum Übergang über die Hagenegg, welcher rechts von der kleineren Ausgabe der Mythen zu vermuten ist.

Nach mehreren Bachüberquerungen stehe ich vor der Kirche von Alpthal. Unweit davon nutze ich einen Rastplatz am Fluss, der sich nach zwei Stunden Wegzeit mehr oder weniger aufdrängt. Er kommt gerade richtig, denn schon bei der nächsten Brücke an der Bushaltestelle „Malosen“ dreht der Jakobsweg nach rechts und stellt sich unvermittelt steil vor mir auf. Der Anstieg auf die Hagenegg, welcher als einer der schönsten Abschnitte der Via Jacobi gilt, kann beginnen. Vor allem die ersten etwa 150 Meter im direkten Anstieg würde man so nicht erwarten. Danach sind immerhin zwei Kehren eingebaut, die zu einem kleinen Waldstück überleiten. Ich komme ganz schön ins Schnaufen und dass sich die Sonne jetzt hinter den Wolken versteckt, empfinde ich nicht wirklich als Nachteil. Oberhalb des Waldes nach dem kleinen Bruustchappeli hat man die sogenannte Gruebi (Schutzhütte) Bogenfang errichtet, welche zum Verweilen einlädt. So nebenbei habe ich beim Rasten auch eine tolle Aussicht auf die beiden Mythen und die näher kommende Hagenegg. Über die umliegenden Gipfel kann man sich auf einer Panoramatafel schlau machen.

Über saftige Almen und an einer Käserei vorbei gelange ich in etwa eineinhalb Stunden ab der Bushaltestelle auf die Passhöhe, die mit 1414m den höchsten Punkt des gesamten Schweizer Jakobsweges ausmacht. Hier befinden sich eine kleine Kapelle und das Hagenegg-Schutzhaus, welches ich nun aufsuche.

Wohlfeil ist die Verpflegung hier nicht gerade – nicht einmal für Schweizer Verhältnisse so wie ich sie bisher gewohnt bin. „Spatz in der Gamelle“ scheint mir noch das relativ beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu haben und ist eine Suppe mit Fleisch und Gemüseeinlagen, die in einem nierenförmigen Kochgeschirr serviert wird. Dazu noch ein Getränk und an die 20 CHF sind futsch. In der Gaststube begegne ich auch dem jungen Schweizer wieder – er ist immer noch alleine unterwegs.
Von der Passhöhe sieht man auf der anderen Seite nach Schwyz und zum Vierwaldstätter See hinunter, etwa 900 Höhenmeter von mir getrennt. Das bedeutet, dass ich höhenmäßig im Abstieg die Hagenegg und den Etzelpass gemeinsam vor mir habe. Also Knie heil! Am steilsten ist es gleich zu Beginn in der Westflanke des Kleinen Mythen. Bald erreiche ich den Nietenbach, dem ich im Abstieg immer wieder begegne. Nach einer Jagdhütte im Wald hole ich eine Schweizer Pilgergruppe, die nur für zwei Tage auf dem Camino unterwegs ist, ein. Nach kurzem verbalem Austausch folge ich dem nicht mehr ganz so steilen Waldweg weiter bergab, bis er seine Fortsetzung auf einer schmalen Asphaltstraße findet. Diese bringt mich durch mehrere kurze Waldstücke bis ich bei einer Rastbank freie Sicht auf Brunnen am Vierwaldstätter See habe.

Im Weiler Ried werde ich ab der Riedbrücke über den Nietenbach wegen einer Baustelle umgeleitet und komme so nicht auf dem Jakobsweg zur Kantonsschule Kollegium Schwyz. Von dort weg ist es nur noch ein kleiner Hüpfer bis zur Martinskirche und dem Zentrum von Schwyz, dem Hauptort des gleichnamigen Kantons.
Die Kantone Schwyz, Uri und Unterwalden bilden die Keimzelle der heutigen Eidgenossenschaft (Zusammenschluss 1291), wobei der Landesname sich aus dem Kanton Schwyz ableitet. Am Hauptplatz des Kantonshauptortes Schwyz steht auch dessen kunstvoll bemaltes Rathaus. Wer sich hier näher umsehen möchte, dem sei auch das Bundesbriefmuseum hinter dem Rathaus empfohlen, wo die Dokumente der Gründung der Eidgenossenschaft aufliegen.

Eine stark befahrene Straße entlang gehend fällt – bereits ohne Übergang in Iberg angekommen – der Firmensitz des bekannten Unternehmens Victorinox auf, wo die Schweizer Taschenmesser gefertigt werden. In Brunnen soll sich ein Visitor Center des Herstellers befinden. Nach der Brücke über den Fluss Muota biege ich in eine Asphaltstraße mit dem wenig passenden Namen „Feldweg“ ein, welche zu einem längeren Teil in gerader Richtung verläuft und an einer Kreuzung eine willkommene Rastbank vorzuweisen hat. Wie ich da so in der Sonne sitze, nähert sich mir von Schwyz her kommend ein Wanderer mit Schirmkappe und einem großem Rucksack. Es ist Martin, der junge Tscheche, dem ich kurz nach dem Laadpass das erste Mal über den Weg lief und der in Neuhaus eine andere Route als ich nach Pfäffikon wählte. Die Freude über das Wiedersehen ist nun groß, auch wenn sich schon jetzt abzeichnet, dass wir sehr bald wieder auf anderen Varianten des Jakobsweges unterwegs sein werden. Martin möchte noch heute mit dem Schiff über den Vierwaldstätter See in Richtung Seelisberg, um am nächsten Tag von dort weg nach Emmetten zu gehen. Unsere gemeinsame Wanderung dauert nur bis zum Weiler Unterschönenbuch, wo eine Autobahn unterquert wird und der Weg zur Schiffsanlegestelle gleich dahinter nach links zur Klosteranlage Ingenbohl wegzweigt.

Die Pilgerherberge des Klosters muss ich jedoch eher in gerader Richtung suchen, worauf auch diverse Schilder hinweisen. In der Herberge werde ich freundlich aufgenommen und sogleich wird mir Wasser zum Trinken angeboten. Übernachtet wird in Mehrbettzimmern, meine erste Sorge gilt aber meiner Magenbefüllung. Die auf der Hagenegg getätigte Energiezufuhr ist längst verbraucht, so dass ich mich gezwungen sehe, die nächstbeste Pizzeria aufzusuchen. Etwas anderes hätte ich mir ohnehin nicht leisten wollen. Abends warte ich auf den Sonnenuntergang, um das Farbschauspiel an den Felswänden der beiden Mythen zu beobachten.

Zwei weitere mir namentlich nicht mehr bekannte Pilger bleiben auch noch über Nacht. Der eine ist mir erstmals bei der Jagdhütte unterhalb des Kleinen Mythen begegnet und plant, die Variante über Luzern zu nehmen. Der andere ist eine Pilgerin und findet sich als Spätankömmling noch in der Herberge ein.
Am nächsten Morgen ist das Wetter bestens geeignet für die erste Überfahrt mit dem Schiff von Brunnen nach Treib. Mitten auf dem See wird die Kantonsgrenze von Schwyz nach Nidwalden überquert. Die Schweizer Pilgerin und ich sind zur gleichen Zeit abmarschbereit, darum ergibt es sich, dass wir den Tag auf dem Weg gemeinsam angehen.

Vom Schiff aus sehen wir schon von weitem das historisch interessante und im Jahr 1659 erbaute „Haus an der Treib“. Die damalige gesetzgebende Versammlung – der Rat der Urkantone – hielt hier zahlreiche Sitzungen ab. Weiters war das Gebäude auch bis zu drei Tage eine sichere Zufluchtsstätte für Verfolgte.
Nach acht Minuten verlassen wir das Schiff wieder und folgen dem Weg ab dem Weiler Volligen über Wiesen und Weiden oberhalb des Vierwaldstätter Sees. Brunnen sehen wir dabei noch einige Zeit sich immer weiter von uns entfernen.

Schließlich werden wir bei Triglis doch kurz zu einer Straße geführt, um nur wenig danach hinter den Höfen Steckenmatt in einen Waldsteig abzubiegen. Dieser ist herrlich schattig, allerdings wird er zunehmennd felsiger. Neben uns geht es deutlich nach unten und am Ende zieht er über Felsstufen steiler bergan.

Emmetten ist das nächste Ziel. Dass wir diesem näher kommen merken wir oberhalb des Felsensteiges beim Wegweiser „Haselholz“ an den uns mit gutmütigem Blick erwartenden animalischen Anrainern. Unmittelbar nach dem Durchmarsch durch den Weiler Sunwil genießen wir den Ausblick über den Vierwaldstätter See und auf das in einem Tal liegende Sagendorf, der letzten Ortschaft vor Emmetten.
Auf dem Weg dorthin kommen wir an der Heiligkreuzkapelle vorbei, in deren Inneren eine aus 1710 stammende sogenannte ‚Totentanztafel‘, welche aus 23 rechteckigen und durch rote Leisten voneinander getrennten Einzelbildern besteht, aufbewahrt wird.

Hinter Sagendorf geht es wieder kurz bergan zur Kirche St. Jakob und St. Theresia von Emmetten. Emmetten hat übrigens in seinem Ortswappen drei silberne Jakobsmuscheln auf rotem Grund, weil es früher ein wichtiger Durchgangsort für Pilger war. Das Wappen sehe ich wohl, nur kommt es mir ziemlich klein vor. Ich erwarte ein größeres und damit eine zweite Chance, die aber nicht mehr kommt. Daher gibt es auch kein Bild davon. Dafür gibt es einen Supermarkt, in dem wir für Verpflegung sorgen, bevor wir uns an den ein wenig beschwerlichen Abstieg nach Rütenen bei Beckenried machen.

Teils steil über Stufen gelangen wir unter der Autobahn hindurch an das Ufer des Vierwaldstätter Sees und gehen noch ein paar Hundert Meter auf Beckenried zu. Dann finden wir eine für eine Pause geeignete Bank an einem sonnigen Platz. Hier verweilen wir sicher eine halbe Stunde und verzehren die in Emmetten erstandene Jause. Diese Pause ist gut gewählt, denn für den Rest des Tages stehen uns hauptsächlich asphaltierte Wege bevor. Wir genießen die Aussicht über den See und nach Beckenried mit seiner weithin sichtbaren Kirche.
Es hilft nichts, irgendwann müssen wir weiter und nach Beckenried hinein. Der beliebte Ferienort erstreckt sich über fünf Kilometer entlang des Südufers des Vierwaldstätter Sees. Wir gehen auf der Straße an der Kirche vorbei bis zum Hotel Rössli, dann folgen wir dem Kirchweg und erreichen den begradigten Lauf des Lielibaches, welcher wie eine überdimensionierte Wasserrutsche aussieht.
Nach dem Durchmarsch von Oberdorf halten wir auf die auf einem Hügel neben der alten Landstraße errichteten Kapelle Maria im Ridli zu. Diese Kapelle ist bereits die dritte an dieser Stelle erbaute, weil ihre beiden Vorgängerinnen angeblich dem Ansturm der Pilger nicht mehr gewachsen waren.

Bald sind wir wieder am Ufer des Vierwaldstätter Sees und an der Buochser Straße, die wir kurz vor Buochs zur Seestraße hin verlassen. Hier befindet sich ein Strandbad, an dem meine Begleiterin mich Pilger sein und ihr Pilgerdasein hier mit einem erfrischenden Bad spontan ausklingen lässt.
Allein setze ich meinen Weg nach Buochs hinein vorerst einmal bis zum Gemeindeamt fort, jedoch verrät mir die Lage der Martinskirche, dass ich wieder den Hang hinauf muss. Die bei einer Schule befindliche Sebastiankapelle passierend mache ich kurz bei der Kirche Station, um dann kurze Zeit darauf bei der Obgass-Kapelle eine Sitzbank an der Straße vorzufinden, auf der ich es mir im Schatten bequem mache.

Heute scheint der Tag der Kapellen zu sein oder ist es nur ein Vorzeichen, dass ich mich der Wirkungsstätte von Bruder Klaus bei Flüeli-Ranft nähere. Hinweise auf den Schweizer Nationalheiligen fehlten jedoch seit Trachslau und eben hier werde ich nun abermals fündig. Über dem Eingang zur Kapelle findet man Abbildungen von Bruder Klaus und Bruder Konrad.
Einen Anstieg habe ich bis zum Tagesziel in Stans noch zu bewältigen, nämlich hinauf zum Weiler Waltersberg mit der St.-Anna-Kapelle, die man auch „Chäppelisitz“ nennt. Den Vierwaldstätter See habe ich mittlerweile aus den Augen verloren, dafür erkenne ich erleichtert Stans unter mir im Tal und gleich links dahinter das Stanser Horn. Mit der St.-Heinrichs-Kapelle wartet auf dem Weg in die Stadt hinein noch eine weitere Kapelle auf mich. Hier könnte ich jetzt noch ein Gebet sprechen, dass ich möglichst schnell ein Zimmer für die kommende Nacht finden möge. Bei einem Anrufversuch beim Wanghof hinter Stans nahe der Knirikapelle scheitere ich kurz zuvor. Hinter dem schon von weitem sichtbaren und rosa gemauerten Kapuzinerkloster – jetzt die Kantonsschule St. Fidelis – kommen die ersten Häuser der Stadt. Sogleich begebe ich mich in das historische Zentrum beim Dorfplatz, wo auch die Kirche St. Peter und Paul steht.

Die Orientierung ist ohne Stadtplan nicht ganz einfach, immerhin ist Stans der Hauptort des Kantons Nidwalden. In der Stansstaderstraße finde ich den „Stanserhof“, wo ich einfach so einfalle und sofort ein Zimmer bekomme. Die Küche ist zu meiner Überraschung thailändisch geprägt, was für etwas Abwechslung bei der Kost auf meinem Weg sorgt.
Ab Stans folge ich dem Innerschweizer Weg noch für eineinhalb Tage bis zum Brünigpass. Einen Bericht dazu könnt ihr demnächst in einem zweiten Teil dazu lesen. Es wird deutlich touristischer, was den zahlreichen organisierten Pilgerfahrten zur Wirkungsstätte von Bruder Klaus bei Flüeli-Ranft geschuldet ist.